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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Zu Gast bei Eva Wulf: Spraitbachs Ikone „Die Liebliche“ erhält eine Schwester

Wenn sie arbeitet, brennt immer ein Kerzle, und fast wirkt es, als leuchtet nicht nur ihre Arbeit, so viel Freude legt sie in jeden Pinselstrich. Eva Wulf schenkt ihrer ungarischen Geburtsstadt zwei Jahre Arbeit und eine ihrer letzten Ikonen — die gleiche Darstellung übrigens, die sich auch in ihrer neuen Heimat Spraitbach findet.

Von Birgit Trinkle

Samstag, 07. April 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer



SPRAITBACH. Wenn sie Gäste in ihrem Häusle im Ochsenbusch willkommen heißt, spricht sie von ihrer Künstlerklause, gerne auch davon, in Klausur zu gehen, wenn sie ein Werk vollendet. Ihr ganzes Können, ihr ganzes Sein konzentriert sich in solchen Stunden, Tagen auf die Ikone – auf eine Darstellung also, deren Original, „Urbild“ genannt, viele hundert Jahre alt ist und die vielen Menschen nicht nur in den Ostkirchen heute noch genau so viel zu sagen hat wie früher.
Wie sehr sie es liebt, eine Ikone zu schreiben, und wie sehr sie darunter leidet, dass sie nach einer Augenoperation immer weniger sieht. Ausgerechnet sie, die sich so sehr auf ihre Augen verlassen muss, kann kaum noch längere Zeit arbeiten, so sehr strengt es sie an. Sie wird die angefangenen Ikonen fertigstellen, dann aber wohl nichts Neues mehr beginnen. Um so schwerer wiegt ihre Entscheidung, zwei Jahre intensiver Arbeit ihrer Geburtsstadt zum Geschenk zu machen, besser dem Ort ihrer Geburt, etwa 200 km südlich von Budapest. Ihre Mutter wurde nämlich in den Weinbergen von den Wehen überrascht, als sie die Erde an den Reben auflockerte. Ihr doch etwas panischer Ehemann radelte los, die Hebamme zu suchen. Die war freilich bei einer anderen Geburt. Und während er noch den Hausarzt aufspürte, kam die kleine Eva ganz ohne Hilfe auf die Welt. Klein ist wörtlich zu nehmen. Gerade mal zwei Kilo wog sie; sie war so winzig, dass die damals noch üblichen „Steckkissen“ nicht für sie taugten: Entweder das Kind verschwand darin, oder es lag in kürzester Zeit im Freien. Getauft wurde das Neugeborene nicht in der Heimerskirchener Stadtkirche, sondern in der nahe gelegenen Kirche St. Urban, dem Patron der Reben und der Winzer geweiht, immerhin war sie ja das Weinbergkind. Das einzige Mädle der Familie, die Prinzessin.
Als sie aber zwei Jahre alt war, musste die Familie Ungarn verlassen. Die Donauschwaben waren als verhasste Deutsche nicht länger geduldet; ihr Deutsch verschwand ebenso wie die Bezeichnung Heimerskirchen für Bàcsalmàs. Wie viele andere Familien kamen die Mannhalters verzweifelt, heimwehkrank und über Nacht praktisch mittellos in Backnang an. Und hier waren sie die Flüchtlinge, die Fremden. Evas Kindheit war geprägt von diesem Gefühl, nirgends daheim zu sein, nicht dazuzugehören. Der fremde Akzent tat ein übriges: „Zigeuner“ wurden die Kinder in der Schule genannt. „Das sitzt bis heute drin, das werd ich nicht los“, meint sie heute, wenn sie zurückblickt in ihre Vergangenheit. Es hat weh getan, sich so unwert zu fühlen.
Die Mutter insbesondere legte Wert darauf, dass ihre Kinder einen guten Beruf erlernten; die Tochter aber, die ganz früh damit begonnen hat, Heiligenbildchen zu sammeln, erfüllte sich später einen Lebenstraum und erarbeitete sich im Kloster Geras in Niederösterreich voller Freude, wenngleich in harter Arbeit, die Fertigkeiten einer Ikonenschreiberin. Die Kunst ist ihr Leben, das Flüchtlingskind eine angesehene Künstlerin geworden. Das half ihr über schwere Zeiten hinweg; etwa über einen Autounfall, der sie zu lähmen drohte. Wenn eine Ikone unter ihren Händen wächst, sinniert sie, ist das Trost und Freude. In den guten Momenten erfährt sie Gnade, und dann wird jeder Pinselstrich zum Dankgebet.
Für die alte und
für die neue Heimat
In den vergangenen 26 Jahren ist ihr Spraitbach zur neuen Heimat geworden. Unter anderem hat sie für diese Gemeinde eine Muttergottes mit Kind geschrieben, „Die Liebliche“ genannt, eine um 1350 entstandene serbische Ikone.
Die alte Heimat hat sie vor 66 Jahren verlassen, und mit der Zeit ist in ihr der Wunsch gewachsen, „den Ahnen Dank zu sagen, und meine Wurzeln zu würdigen“; ihre Familie hat über viele Generationen in Bàcsalmàs gelebt. Etwas für ihre „Geburtskirche“ zu tun, wäre zudem eine Möglichkeit, ihrer Eltern und der vier Brüder zu gedenken, die mittlerweile alle verstorben sind – insbesondere die Mama hat sich zeitlebens nach der alten Heimat gesehnt. Also hat sie Kontakt aufgenommen und angeboten, auch für St. Urban eine „Liebliche“ zu schreiben, ein ganz besonderes Band zu knüpfen zwischen der alten und der neuen Heimat. Nicht nur in Arbeitszeit gerechnet ist dann ein wertvolles Stück entstanden; der goldfarbene Hintergrund etwa symbolisiert den Himmel bzw. das „göttliche Licht“. Die Ungarn waren und sind begeistert. Weil nicht klar war, wie Eva Wulf ihr 87 auf 67 Zentimeter großes und sehr schweres Werk über 1200 Kilometer transportieren sollte, holt der stellvertretende Bürgermeister Manz sie in Spraitbach ab. Geweiht wird die Ikone am 25. Mai unter anderem vom Bischof, und über Tage wird es Programm geben. Eigens anreisen wird auch ein ganzer Bus voller Donausschwaben und Wulf-​Freunde aus Backnang – mittlerweile Partnerstadt Bàcsalmàs –, sowie drei Vertraute der Künstlerin aus Mutlangen und Gmünd. Am 31. Mai dann wird sie erstmals wieder in der alten Heimat Geburtstag feiern.
Sie arbeitet gern mit altem Holz; das „arbeitet“ nicht mehr. Die ausrangierten Spraitbacher Kirchenbänke sind wie geschaffen für eine Ikone, nicht zuletzt auch, weil sie den Ort jahrhundertelang im Glauben begleitet haben. Auf dieses Holz wird nun großzügig Kreide aufgetragen, das Ganze dann mit großer Ausdauer abgeschliffen, bis es sich anfühlt wie poliertes Elfenbein. In diese Fläche werden die Konturen der Ikone geritzt — selbst nach massiver Beschädigung ist so meistens eine Restaurierung möglich. Zwölf Farbschichten trägt sie dann auf, nicht selten mit Pinselchen, die nur aus ein paar wenigen feinen Haaren bestehen. Fast dreidimensional wirkt ihre Arbeit deshalb, und weil sie vom Dunkel ins Licht arbeitet, entsteht ein Eindruck von Transparenz: Glauben sichtbar machen.
Wo immer ihre Arbeiten hängen, werden sie hoch geschätzt. Als die wunderschöne, einmalig große Arbeit in Untergröningen fertig gestellt war, läuteten die Glocken. In Spraitbach wissen die Kinder, dass die zweite Wulf-​Ikone in der Spraitbacher St.Blasius-Kirche, die „Empfängnis der Heiligen Anna“ nach einem russischen Urbild aus dem 15. Jahrhundert, „Oma und Opa des Jesuskindes“ zeigt, und werden nicht müde, es anzusehen. Das Kloster der Franziskanerinnen in Gmünd hat sich die Auferweckung des Lazarus geleistet, Wädenswil in der Schweiz sich beim Neubau einer Kirche für eine Arbeit Sieger Köders am Ausgang und für eine Höhlen-​Muttergottes von Eva Wulf im Altarraum entschieden, die der Kirchenpräsident persönlich bei ihr abgeholt hat Eine Freimaurerloge schmückt sich mit ihrem Werk, und auch Privatleute überall in Deutschland aber auch in Amerika freuen sich über eine Wulf-​Ikone und halten sie in Ehren.
Der Malerkittel hat jetzt einen Farbfleck mehr. Eva Wulf lächelt. „Ich hoffe, dass meine Mutter stolz auf mich ist.“ Dass ihre Familie im Mai, bei der Ikonenweihe, bei ihr sein wird, da ist sie sicher.

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