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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Schicksal der verschollenen Gmünder Jahrhundertsskulptur „Galgen“ ist geklärt

Offiziell und offenherzig hat gestern die Gmünder Stadtverwaltung bekannt gegeben: Die vor ziemlich genau 20 Jahren in Gmünd errichtete Großskulptur des griechischen Künstlers Jannis Kounellis existiert nicht mehr. Sie wurde „wegen Altersschwäche“ entsorgt“.

Freitag, 14. September 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 30 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (hs). Die „Wege zur Kunst“ des Straßdorfer Fördervereins wollte in Sorge um Würde und Fortbestand der demontierten und auf dem Bauhof eingelagerten Skulptur die mächtigen Kunsthölzer schon vor Jahren zu sich nehmen. Angedacht war eine Rekonstruktion und Wiederaufbau bei Straßdorf vor der Kulisse des Hohenrechberg. Und zuletzt hatte sich die Rems-​Zeitung im Rahmen eines Rundgangs zu den vielen anderen im Bauhof zwischengelagerten Kleindenkmälern und Kunstobjekten nach dem Schicksal des Kounellis-​Galgen erkundigt. Zunächst hieß es, er sei verschollen. Und gleich nach Rückkehr aller Amtsleiter nach dem Urlaub werde man sich um Klärung bemühen.
Die 32 Meter hohe Großskulptur von Jannis Kounellis hatte vor genau 20 Jahren im Rahmen der regionalen Kunstaktion „Platzverführung“ die Stadt in helle Aufregung versetzt. Von „Platzvergewaltigung“ war die Rede, weil der Künstler das galgenartige Monstrum provokativ direkt neben das gotische Münster setzte und das Objekt in Experten-​Deutungen sogar mit dem Kreuz gleichgesetzt wurde. Die vielen Auseinandersetzungen und Diskussionen hatten meist tumultartigen Charakter. Es kam in der aufgeheizten Stimmung zu schlimmen Auswüchsen von beiden Seiten: Anschläge auf den Galgen und aufs Altarkreuz im Münster.
Der damalige Kulturamtsleiter Klaus Eilhoff bemüht sich bis heute um eine Versachlichung des Eklats zwischen Bevölkerung und der Denkweise des weltweit erfolgreichen Künstlers: Mit dem Begriff Galgen sei seinerzeit leider großes Missverständnis eingekehrt; es habe sich vielmehr um einen Kran gehandelt. An den Ausleger habe Jannis Kounellis ein Sack mit Möbeln gehängt, um am Münster sinnbildlich die Untugend des Menschen darzustellen, weil dieser oft dazu neige Materielles höher zu hängen als Geistliches und Geistiges.
Andererseits strotzten eilends angereiste Kunstsachverständige vor Überheblichkeit gegenüber der Bevölkerung, die völlig überrumpelt wurde. Bundesweit machte sodann in den großen Zeitungen, Magazinen und TV-​Sendungen die dankbare Story Furore: Ein Weltklassekünstler bringt in Schwaben die Provinz in Wallung. Dieses Wechselspiel sorgte in Schwäbisch Gmünd für noch mehr Verärgerung. Galgen bzw. Kran beherrschten schließlich den OB-​Wahlkampf, nachdem sich nahezu punktgenau mit dem Abbau der von einem Orkan lädierten Skulptur auch Amtsinhaber Dr. Wolfgang Schuster vorzeitig entschlossen hatte, seine Karriere in der Landeshauptstadt fortzusetzen. Wie auch immer jeder Gmünder jene turbulenten Monate in Erinnerung hat und bewertet; noch nie gab es in dieser Stadt eine solche intensive Auseinandersetzung mit Kunst im öffentlichen Raum. Selbst Kritiker von damals liebäugeln nun 20 Jahre später mit Wehmut und distanzierter Wiedersehensfreude zu der Idee: Man könnte doch dieses Objekt, das Stadtgeschichte schrieb, anlässlich der Landesgartenschau im Remspark beispielsweise am Rokokoschlösschen oder am historischen Postgebäude wieder aufbauen?!
Markus Herrmann, Pressesprecher der Stadtverwaltung, gab nun gestern nach Rücksprache mit den aus dem Urlaub heimgekehrten und zuständigen Amtsleitern bekannt: Den Galgen gibt’s nicht mehr. Die Teile seien wegen klarer Altersschwäche vom Bauhof als Altholz entsorgt worden. Zu diesem Schritt hätten sich die zuständigen Mitarbeiter schweren Herzens entschlossen, nachdem bei einem Bergungsversuch mittels eines Staplers ersichtlich geworden sei, dass die Balken hoffnungslos morsch geworden seien. Das bis dahin unter Planen gelagerte Kunstholz sei von alleine zerbröckelt und auseinander gefallen. Es musste dem neuen Baugebiet zwischen Bauhof und ehemalige Hardtkaserne Platz machen.
Fügung des Schicksals: Echte Kräne markieren nun jenen Platz, wo der Kunst-​Galgen bzw. –Kran in den letzten 20 Jahren achtlos seine letzte Ruhestätte hatte. Gmünd wird ihn gewiss in ewiger — je nach Sichtweise — seliger und auch unseliger Erinnerung behalten.
Rathaus-​Pressesprecher Markus Herrmann ergänzt, dass zumindest die eisernen Schrauben und Beschläge, welche die elegante Holzkonstruktion zusammenhielten, geborgen seien. Man werde sie auf jeden Fall verwahren. Denkbar sei eines Tages eine Ausstellung oder Dokumentation im Museum.

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