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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Landrat und Oberbürgermeister über Rückzug der Bahn aus Asylbewerber-​Projekt am Bahnhof tief enttäuscht

Offensichtlich unter dem Druck einer Vielzahl von teils sehr emotionalen Kommentaren in verschiedenen Foren im Internet ist das Asylbewerber-​Projekt von OB Richard Arnold und Landrat Klaus Pavel am Gmünder Bahnhof zunichte gemacht worden. Die Deutsche Bahn AG hat am Mittwoch ihre Mitwirkung panikartig zurückgezogen.

Mittwoch, 24. Juli 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

Die Vorgeschichte ist den Gmündern bekannt, offenbar aber nicht jenen Kritikern, die seit zwei Tagen teils auch mit sehr pauschal formulierten Kommentaren und auch Beschimpfungen die Stadt Schwäbisch Gmünd verspotten. So heißt es beispielsweise, dass man nun im Schwabenländle eine moderne Form der Sklaverei erfunden habe.
Ganz am Anfang dieser Geschichte stand und steht das erfreuliche Bemühen der Deutschen Bahn AG: Anlässlich der Landesgartenschau 2014 werden knapp sieben Millionen Euro investiert, um den Bahnhof zu modernisieren. Unerfreulich für die Bahnkunden aber: Bis Oktober müssen sie, um von einem auf den anderen Bahnsteig zu kommen, ein furchtbares Fußgängerstegprovisorium überwinden. 108 wackelige Stufen geht es auf– und wieder abwärts. Mütter und Väter mit Kinderwagen, vor allem natürlich Rollstuhlfahrer haben da ohne Helfer keine Chance. Aber auch Senioren oder auch junge Leute mit schweren Koffern kämpfen sich verzweifelt über dieses Hindernis.
Idee mit einer freudigen und unbürokratischer Umsetzung
OB Richard Arnold hatte die Idee, auch Landrat Klaus Pavel (der Landkreis hat die Trägerschaft für die Flüchtlings-​Gemeinschaftsunterkunft auf dem Hardt) war sofort mit im Boot. Die Deutsche Bahn zog zunächst unbürokratisch mit. Auf freiwilliger Basis meldeten sich neun junge Männer aus Afrika und Pakistan und wurden mit roten T-​Shirts, offiziellen Namensschilder der Stadt und Strohhütten (gegen die Sonne der Hundstage) als Servicemitarbeiter eingesetzt. Als Wetter– und vor allem auch Sonnenschutz stellte die Stadt auch eine Weihnachtsmarktbude am Fußgängersteg auf. Zumindest knapp drei Tage lang gab’s am Bahnhof eigentlich nur Glückseligkeit: Hochmotiviert freuten sich die Asylbewerber, dass sie in der Gemeinschaftsunterkunft nicht tatenlos die Zeit totschlagen müssen, sondern arbeiten und am gesellschaftlichen Miteinander im Gastland teilhaben dürfen. Und auf der anderen Seite gab’s große Freude und Anerkennung seitens der Bahnkunden für diesen unbürokratischen Service. Stundenlohn für die Servicekräfte: Ein Euro und fünf Cent. Das ist gesetzlich in Deutschland so vorgeschrieben; Asylbewerber dürfen nicht mehr verdienen. Das aber war gestern in den Meinungsäußerungen auf verschiedenen Internet-​Plattformen der Knackpunkt. Vor allem bei Spiegel-​online und im sozialen Netzwerk Facebook brach nun eine emotionsgeladene Debatte los. Auf der einen Seite ist von Ausbeutung der bedauernswerten Flüchtlingen in Deutschland die Rede. Gekontert wird im Hin und Her der Äußerungen aber auch mit emotionalen Kommentaren gegen die Asylbwerber. Lawinenartig kamen letztendlich bundesweit und teils auch aus dem Ausland Tausende von Reaktionen zusammen.
Gestern Nachmittag dann der Paukenschlag mit einer Presseerklärung der Deutschen Bahn AG: Sie ziehe sich aus der Initiative der Stadt zurück, Asylbewerber zum Transportieren von Gepäckstücken während der Bauarbeiten am Bahnhof einzusetzen. Die konkreten Beschäftigungsbedingungen seien der Deutschen Bahn erst jetzt bekannt geworden. Arbeitsverhältnisse zu diesen Konditionen könne die Bahn jedoch nicht unterstützen, so heißt’s eingeschüchtert. Ab dem heutigen Donnerstag wird die Bahn also mit eigenen Mitarbeitern den Fahrgästen im Bahnhof Schwäbisch Gmünd Hilfe beim Überqueren des Bahnhofssteges anbieten. Auf Anfrage der RZ, wie denn diese Mitarbeierinnen und Mitarbeiter bezahlt werden, war zu hören: „Die Deutsche Bahn zahlt ihre Servicekräfte nach Tariflohn, der je nach Qualifikation des jeweiligen Mitarbeiters differiert.“
Verbitterung bei Landrat Pavel und Oberbürgermeister Arnold
Extrem verbitterte Reaktionen kommen von den Initiatoren: Landrat Klaus Pavel zeigt sich im Gespräch mit der Rems-​Zeitung „nicht nur dienstlich, sondern auch menschlich tief enttäuscht“. Er erinnert an die „wunderbare Motivation und die Fröhlichkeit von allen Beteiligten“, als das Projekt am Montag am Gmünder Bahnhof gestartet wurde. Die Asylbewerber seien über das zusätzliche Arbeits– und Trinkgeld und die Teilhabe glücklich gewesen. Sie seien nun die eigentlichen Opfer dieser völlig unnötigen Aufregung geworden. „Nach den heftigen Reaktionen im Internet und dem Rückzug der Bahn habe ich gedacht: Ich sitz’ im falschen Film. Es ist zutiefst traurig, dass wir zwischenzeitlich leider soweit sind, dass der Bahn-​Konzern und auch unsere Gesellschaft sich einer solchen Stimmung in Facebook beugt“. Richard Arnold zur RZ: „Ich bin überrascht, traurig und tief enttäuscht! Das Projekt hat doch klasse begonnen. Alle, vor allem die Asylbewerber selbst, seien mit großen Engagement und Freude ans Werk gegangen. Und auch bei der Bevölkerung gab es nur positives Echo. Ich habe sehr viele E-​Mails mit positiven Reaktionen erhalten. Das Schlimme ist, dass nun das abrupte Projektende vor allem das Selbstbewusstsein der Asylbewerber tief verletzt hat.“ Denen sei es doch nicht nur ums Geld verdienen gegangen. Der Oberbürgermeister: „Wie soll ich diesen Menschen nun erklären, dass jetzt andere die Arbeit machen, die sie selbst doch so gerne geleistet hätte

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