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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Blick auf das Kroatenkreuz und seine sagenumwobenen Ursprünge

Der angestammte Platz am Graben, gegenüber der Kreissparkasse, ist leer: Niemand wollte riskieren, das Kroatenkreuz während der Umbaumaßnahmen zu beschädigen. Derzeit wartet es auf dem Bauhof-​Areal darauf, dass es wieder zu Ehren kommt. Aber woher kommt es, wer hat es geschaffen und warum? Abergläubische Unsitte, umgesetzt im Auftrag der reichen Stifterfamilie? Oder ein Versuch, im 30-​jährigen Krieg die anrückenden Kriegerhorden aus dem Osten milde zu stimmen – es gibt viele Versuche, das Kroatenkreuz zu deuten. Eduard Funk verfolgte 1963 zwei Ansätze. Versuch einer ikonographischen Deutung.

Freitag, 30. August 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
5 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt) Vor 50 Jahren widmete sich Historiker Eduard Funk dem Kroatenkreuz – zum einen war damals klar, dass tausende Flüchtlinge, die gekommen waren, um zu bleiben, ein Gefühl brauchten für die neue Heimat, zum anderen hatte die Restaurierung einen interessanten Fund zutage gefördert. Es wurde damals viel spekuliert über die Ursprünge dieses Kreuzes, Eduard Funk hat sich dann eingearbeitet in die verschiedenen Deutungsversuche in Kreuzformen und in die Ikonographie, die Erforschung und Interpretation verschiedener christlicher Symbole im frühen 17. Jahrhundert. Im Folgenden veröffentlicht die RZ Auszüge aus seiner Arbeit.
Über 300 Jahre lang stand an der alten Lorcher Straße, weit draußen vor der Stadt, ein seltsames Kreuz, dessen Herkunft und Bedeutung man nicht zu erklären vermochte. Als der Beschluss gefasst wurde, das Gelände, an dessen Rand es im Schutz tiefhängenden Baumgeästs ein kaum beachtetes Dasein fristete, zu überbauen, kam man auf die glückliche Idee, dieses Kreuz am Eingang zum Graben neben dem Kroatensteg aufzustellen.
Stiftung der Familie Beiswinger
aus dem 30-​jährigen Krieg
Aus welchen Gründen wurde es seinerzeit gestiftet und von wem stammt es? Um diesen Fragen näher zu kommen, ist eine Vorbemerkung nötig. Kreuze, die an Straßen und Wegen außerhalb geschlossener Ortschaften errichtet wurden, haben in der Regel eine ganz bestimmte Bedeutung: Entweder sind sie Sühnekreuze zur Erinnerung an ein Verbrechen oder Gedenkkreuze für einen tödlichen Unfall. Im Kreis Schwäbisch Gmünd sind über drei Dutzend solcher Kreuze vorhanden, von denen einige allerdings falsch gedeutet wurden. Geistliche Stifte und Klöster pflegten nämlich das ihnen gehörende Territorium durch Besitzkreuze zu markieren, die an den Grenzübergängen aufgestellt wurden; die lorchischen und ellwangischen Kreuze, von denen noch etliche existieren, gehen auf diese Gepflogenheiten zurück. Die sogenannten Votivkreuze, die den Passanten zu frommen Gedanken mahnen sollen, sind fast alle relativ jungen Datums. Wahrscheinlich aber hat unser Kreuz am Kroatensteg mit allen diesen Herkunftsmöglichkeiten nichts zu tun.
Die Datierung steht fest, denn auf dem unteren Kreuzbalken ist die Angabe 1646 zu lesen. Im gleichen Jahr wurde für Michael und Susanna Beiswinger eine Jahrtagsmesse gestiftet und diese mit 100 Gulden dotiert. Als Pfand für diesen Betrag ist im Anniversar des Münsters ein Gut bei der Kreuzmühle erwähnt, das sich dort befand, „wo das neue Kreuz nächst der Mühl aufgerichtet worden“.
Die Frau des Michael Beiswinger war – wie Stadtarchivar Deibele ermittelte – eine geborene Frey. Sie oder ihr Vater sind demnach die vermutlichen Stifter des Kreuzes, denn unter den Füßen Christi ist auf einem Schildchen der Buchstabe „F“ eingemeißelt. Über dieser Signatur erkennt man die Inschrift HISOSTM, die Pfarrer Weser mit „Hoc In Signo Omnis Salus Totius Mundi“ (In diesem Zeichen liegt das Heil der ganzen Welt) interpretierte.
Ungewöhnlich ist die Form des Doppelkreuzes, dessen Balkenende als Variante zwischen dem Anker– und dem Astkreuz ausgebildet sind. Obwohl die Heraldik der Kreuzfigur über 30 Muster kennt, war das Doppelkreuz in Westeuropa nicht üblich. Seine älteste überlieferte Form mit zwei gleichen Balken ist das Jagellonen-​Kreuz, aus dem das litauische und das slowakische Doppelkreuz abgeleitet sind. Aus dieser Doppelform entstand das Patriarchenkreuz. Kardinäle tragen ein Doppelkreuz; mit einem weiteren Balken überhöht ist es das Papstkreuz. In Mittel– und Westeuropa war als kirchliches und heraldisches Symbol ausschließlich die römische Form des einfachen Kreuzes üblich. Allerdings mit einer Ausnahme: das doppelbalkige Lothringer Kreuz, das aber wohl slavischen Ursprungs ist. Im außerkirchlichen Bereich konnte man allerdings im Mittelalter dennoch das Doppelkreuz, das der Aberglaube mit mystischen Vorstellungen umgab, die bis in die Zeit der Kaiserin Helena zurückzuverfolgen sind. Als deren Sohn Konstantinus im Jahre 326 die Höhle des Heiligen Grabes in Jerusalem aufdecken ließ, fand Helena darin – so behauptet die Legende – das Kreuz Christi, das die Kaiserin nach Konstantinopel schickte. Ihm maß man Wunderkraft zu, die man übertragen können vermeinte, wenn man das Kreuzeszeichen – nicht als Segen, sondern als Beschwörung – mit der Hand schlug, eine Geste, die noch heute in weiten Volkskreisen als Schutzmittel gegen böse Geister gilt.
Heftige Kritik an der
„tüeff gesunkenen Reichsstatt“
Die zweifache Balkenform sollte – so meinte man – auch doppelte Heils– und Abwehrkraft in sich bergen. Die „Weibspersonen“ und „Metzenzimmer“ (Jungfern) trugen sie deshalb als Amulett um den Hals, was Johann Eustachius Jäger von Järgersberg, von 1694 bis 1711 Ratskonsulent in Gmünd, zu einer geharnischten Epistel veranlasste, als er für „Gamundia redivia“ Vorschläge zur Verbesserung der Zustände in der „tüeff gesunkenen Reichsstatt“ ausarbeitete.
Insbesondere war es Brauch, solche Doppelkreuzlein (meist aus Messing) unter die Türschwelle zu legen, um Unheil zu bannen. An die Dachbalken genagelt, sollte es vor Blitzschlag bewahren; in die Zimmerwand gemauert, vor Krankheiten schützen. Aus diesem Aberglauben des so genannten „Haussegens“ folgerte Albert Deibele, dem Kreuz an der Lorcher Straße habe der gleiche Sinn innegewohnt, zumal es ja während des Dreißigjährigen Krieges errichtet wurde. Eine andere Kombination, die in dem unheilbannenden Doppelkreuz ein Abwehrzeichen gegen die Pest erblicken wollte, scheidet wohl aus, denn diese entsetzliche Seuche war schon acht bis neun Jahre vor der Stiftung dieses Kreuzes in Schwäbisch Gmünd erloschen.
Nun hat man aber bei der unlängst vorgenommenen Reparatur dieses Kreuzes zwischen dem Titulus INRI und dem Christushaupt eine kalkverschmierte Stelle im Angulaten-​Sandstein entdeckt, die sich als Verschluss einer Nische herausstellte, in der sich ein Fläschchen befand, das ein Haussegen-​Kreuzlein enthielt. Gerade dieses Tatsache spricht jedoch gegen die bereits erwähnte Deutungsmöglichkeit, denn diese Nische ist mindestens 100 Jahre nach der Aufstellung des Kreuzes eingehauen worden; in der Mitte des 17. Jahrhunderts kannte man noch keinen Schraubverschluss.
Wenn man also Skepsis gegenüber der These hegt, das Doppelkreuz an der Lorcher Straße sei mystischen Assoziationen um den „Haussegen“ entsprungen, der doch im Grunde eine obskure Glaubensangelegenheit war, dann bleibt immer noch eine weitere Kombinationsmöglichkeit offen: Im Dreißigjährigen Krieg waren die slawischen Hilfsvölker aller Feldherren wegen ihrer Brutalität und Habgier am meisten gefürchtet. Wir wissen, dass diese häufig durch das Remstal zogen und die Stadt Gmünd bedrohten. Könnten deshalb nicht die Familien Beiswinger und Frey auf die Idee gekommen sein, den slawischen Soldaten ihr eigenes Kreuz entgegenzuhalten, um sie zur Milde und christlicher Gesinnung zu mahnen?

Das Kroatenkreuz und sein Schöpfer

Viele Fragen zu diesem Kreuz werden wohl nie mit einiger Sicherheit beantwortet; die letzte, die im Rahmen dieser Betrachtung noch gestellt wird, ist dagegen Eduard Funk zufolge relativ einfach zu beantworten: Wer schuf dieses Kreuz?
Der bedeutendste Baumeister und Bildhauer war zu jener Zeit in Schwäbisch Gmünd der jüngere Caspar Vogt, der im selben Jahr (1646) starb, in dem das Kreuz aufgestellt wurde. Wenn man seine künstlerische Handschrift und seine technische Arbeitsweise auf dem von ihm ausgestalteten Salvator gründlich studiert hat, kann kein Zweifel bestehen, meint Eduard Funk, dass der Corpus des Doppelkreuzes beim Kroatensteg aus seiner Werkstatt stammen muss. Die stark naturalistische Durchbildung des Körpers, die Faltung und Raffung des Lendenschurzes sowie die Kopfhaltung des Heilands sind absolut Vogtsche Manier, Caspar Vogt, geboren um 1586, gehörte zwar dem Stilkreis der Renaissance an, doch ist es für ihn geradezu typisch, wie sehr er künstlerisch gotischen Traditionen verhaftet blieb.

Das Kroatenkreuz und die Landesgartenschau

Das Kroatenkreuz wird vielleicht noch im Herbst, sicher aber rechtzeitig vor Beginn der Landesgartenschau wieder am Kroatensteg installiert. Stadtsprecher Markus Herrmann bezog sich gestern im Gespräch mit der RZ auf die Pläne für das gesamte Areal und auf die Zusage der Stadt, das Kroatenkreuz im Umfeld des geplanten kirchlichen Besinnungsgartens 2014 ebenso bereitzustellen wie unter anderem für den Fronleichnamszug.
Im Konzept der Kirchen ist Dekanatsreferent Martin Keßler zufolge ein Ort von besonderer Bedeutung – der am Fünfknopfturm geplant ist und ein Ort der Ruhe, der Stille, auch der Begegnung werden soll. Auch dieser Ort wird, wie der vom Meditationsweg ausgehende Glaubensort für Wetzgau, „aus dem Gedanken des Kreuzgangs heraus gestaltet“; hier werden stets ein, zwei Personen zuhören, „eben da sein für alle die das Gespräch suchen“. Hier wird auch der Treffpunkt für Menschen mit Behinderung installiert, an dem kleine Führungen starten und an dem ein Verweilen möglich ist.

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