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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Susanne Büttner arbeitet als Gefängnisseelsorgerin in der Frauenhaftanstalt Gotteszell /​Angebot „Kloster im Gefängnis“

Ich will Gemeinde leben, wo wirklich etwas auf dem Spiel steht“, sagt Susanne Büttner. Gefängnisseelsorgerin in der Frauenhaftanstalt Gotteszell zu sein, ist enorme Herausforderung – für sie eine Aufgabe, die sie mit Freude und mit großem Einsatz übernimmt.

Dienstag, 24. September 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND. Schnell hat Susanne Büttner die Schleuse passiert, die in die Justizvollzugsanstalt führt, und den Schlüsselraum betreten. Sie schließt ihr Handy weg und greift zum PNA, dem „Personen-​Notrufgerät“. Das sieht aus wie ein Handy aus der Anfangszeit: groß, klobig, schwarz und schwer. Ein Muss für die Bediensteten. „Für die hausinterne Kommunikation“, sagt Susanne Büttner. „Und wenn ich mal Hilfe brauchen sollte, sind schnell Beamte zur Stelle.“ Dafür hat sie das PNA aber noch nie gebraucht.
Susanne Büttner (50) ist seit elf Jahren Gefängnisseelsorgerin in der Justizvollzugsanstalt Gotteszell in Schwäbisch Gmünd. Ein Frauengefängnis mit rund 300 Insassinnen. Vorbei geht’s an Schule, Verwaltungstrakt und Kindertagesstätte, in der Jungen und Mädchen bis zu einem Alter von drei Jahren betreut werden. Auch Kinder von Bediensteten besuchen diese Einrichtung. Ihr gegenüber liegt ein Barockbau, das frühere Kloster der Dominikanerinnen. Heute fertigen Gefangene darin Taschen für Lemonfish, eine Kultmarke.
Gotteszell: So hieß früher auch das Kloster. Als Gefängnisnamen empfindet Büttner das eher provozierend. Auch das hat sie dazu bewogen, dort Pfarrerin zu werden. „Außerdem haben mich schon immer mehr die Menschen interessiert, die am so genannten Rand der Gesellschaft leben“, meint sie. „Theologisch betrachtet gehören sie ja in die Mitte.“ Menschen, die schuldig geworden seien, häufig auch aufgrund schlechter Bildungs– und Lebenschancen. „Ich will wissen, ob Gott in jeder Zelle spürbar ist. Will Gemeinde leben, wo wirklich etwas auf dem Spiel steht. Wo es um Menschenwürde geht und darum, dass auch diejenigen Zukunftsperspektiven bekommen, die in ihrem Leben bisher wenig auf die Reihe gekriegt haben.“ Inzwischen hat sie erfahren, dass sie als Pfarrerin im Gefängnis „eine ziemlich große Freiheit“ genießt, „Gemeinde zu bauen“, dass sie ihre Gemeindeglieder vermutlich besser kennt als die meisten ihrer Kollegen außerhalb der Gefängnismauern und dass sie als Gefängnisseelsorgerin mit ihrer ganzen Person gefragt ist. „Hier bin ich erst richtig zur Theologin geworden“, betont sie.
Nach einigem treppauf, treppab betritt die Pfarrerin den Verteilerraum und holt sich die Rapportzettel, die auf sie warten. Eine Insassin meldet sich zur Gruppe „Christlicher Glaube als Reinigungsweg“ an, eine weitere wünscht sich Buntstifte, und eine vierte schreibt: „Ich hätte gerne einen Reisesegen und würde mich freuen, wenn Sie mich persönlich verabschieden könnten.“ Und wie immer bitten Frauen um persönliche Gespräche. Einen Grund müssen sie dafür nicht nennen. Es gilt das Seelsorge– und Beichtgeheimnis. Das macht die Gefängnisseelsorge für manche unverzichtbar.
„Grundsolidarität mit
Insassinnen und Bediensteten“
Auch Gefangene haben das Recht auf freie Religionsausübung. Die evangelische und katholische Kirche sind in allen 17 baden-​württembergischen Justizvollzugsanstalten mit Seelsorgern vertreten. Sie laden zu Gottesdiensten und Gesprächsgruppen ein, stehen für Krisengespräche zur Verfügung, begleiten Gefangene bei Ausgängen und bieten Unterstützung für Familienkontakte. Nicht zuletzt stehen sie auch Bediensteten mit Rat und Fortbildung zur Seite.
Der Weg zu Susanne Büttners Büro führt durch den Trakt für Untersuchungsgefangene. „Es gibt so eine Art Grundsolidarität mit den Insassinnen und Bediensteten für mich“, sagt sie. „Es ist ja reine Gnade, dass ich studieren durfte, dass ich vieles lernen und erleben durfte, was mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin.“ Einer jungen Frau stellt sie sich als Pfarrerin vor, lädt sie zum Gottesdienst ein und verweist auf das Beichtgeheimnis. „Sie können offen das ansprechen, was Sie auf dem Herzen haben.“ Ein paar Schritte weiter putzt eine Frau. Sie trägt einen Rosenkranz um den Hals. Aus rosa Plastik. „Was ist mit dem Prozess?“, fragt Susanne Büttner. „Weiß nicht“, sagt die andere. „Aber ich möchte gerne den Bibelgesprächskreis besuchen.“ Einer anderen Frau steht die Abschiebung nach Kolumbien bevor. „Häufig begleitet man Menschen in eigentlich ausweglose Situationen“, meint die Gefängnisseelsorgerin. „Tätergeschichten sind halt meist auch Opfergeschichten.“
„Ich will auch aus ganz traurigen Situationen noch das an Leben rausholen, was da ist.“
Wenig später im Langstrafenhaus trifft Susanne Büttner eine Frau, die als Mesnerin in ihrer Gefängnisgemeinde mitarbeitet. Mehr als zehn Jahre schon sitzt Margot (Name von der Redaktion geändert) ein. Sie scherzen. „Wenn der Humor net wär, wär’s ganz schlimm“, sagt Margot. „Eine Überlebensstrategie“, meint Susanne Büttner. „Ich will auch aus ganz traurigen Situationen noch das an Leben rausholen, was da ist. Meine Aufgabe ist es, die Menschen zu stärken, ihre Ressourcen frei zu legen, ihnen Mut zuzusprechen. Wenn wir Gnade und Hoffnung predigen, muss das im Alltag konkret werden. Da spielt auch der Witz eine Rolle.“ Der darf dann auch im Gottesdienst sein. Etwa wenn die Guggenmusiker am letzten Sonntag in der Faschingszeit kommen. Über mangelnde Unterstützung kann sich die Gefängnisseelsorge in Gotteszell nicht beklagen. Kirchenchöre, Gospelsänger und Blechbläser haben schon in den Gottesdiensten gespielt. „Wir sind Gemeinde Jesu Christi über Mauern hinweg“, sagt die Geistliche. „Die Insassinnen spüren das und die Besucher gehen anders heim, als sie hergekommen sind.“
Margot begleitet Susanne Büttner in ihr Büro. Unweit des Schreibtisches lehnt eine Gitarre an der Wand. Das Tischchen bei der Sitzecke ziert ein kleiner Strauß frischer Blumen, daneben liegt eine Packung Papiertaschentücher. „Die sind hier ganz wichtig“, sagt die Geistliche, „wenn die Tränen fließen.“ Margot möchte sich für die Klosterwoche anmelden. Vier Mal schon hat sie daran teilgenommen. „Wird’s nicht langweilig?“, will die Pfarrerin wissen. „Nein. Das frühe Aufstehen tut Körper, Geist und Seele gut“, sagt sie. „Ich kann besser schlafen, brauche weniger Medikamente und werde gelassener.“ Die Hirnforschung bestätigt Margots Erfahrung und weist zudem drauf hin, dass regelmäßige Meditation zu mehr Empathie, Wahrnehmungsfähigkeit und sozialer Kompetenz führe.
„Kloster im Gefängnis“: Dieses Angebot gibt es seit dem Jahr 2009 in Gotteszell und meint eine Woche der Stille vorzugsweise für langjährig Inhaftierte. Ein klar strukturierter Tagesablauf von 7 Uhr morgens bis 21 Uhr abends prägt diese Zeit. Dazu zählen unter anderem gemeinsame Mahlzeiten, Tagzeitengebete, Arbeiten und Gehen im Schweigen, Sitzen in der Stille, Atem– und Körperübungen sowie ein verpflichtendes Einzelgespräch von zehn Minuten pro Tag. Büttner versteht diese Einübung in Stille als Freiheitsprozess. „Der Vollzugsalltag tritt sehr schnell in den Hintergrund. Das eröffnet einen großen Freiraum für innere Prozesse.“ Die Teilnehmerinnen könnten sich unangenehmen Dingen und Gefühlen stellen, Schmerz, Scham und Schuld zulassen, ohne sie wegschieben zu müssen. „Sie leiden ja häufig an Schuldgefühlen gegenüber den Opfern, aber mehr noch gegenüber der eigenen Familie.“ Weil sie durch die Haft nicht für die Kinder da sein könnten oder für die alt gewordenen Eltern.
„Aus dieser Ohnmacht und Opferrolle rauszukommen und zu lernen, sich in Freiheit ihrer Verantwortung zu stellen, ist für verurteilte Menschen von immenser Bedeutung“, betont Susanne Büttner. Es gehe darum, dass die Menschen auch in Haft die Möglichkeit erhalten, Subjekte ihres eigenen Lebens zu werden und die Haft als Übungsfeld nutzen, um sich zu verändern. Es gehe um „restorative justice“, wiederaufrichtende Gerechtigkeit. Deswegen müssten Lockerungen im Haftvollzug frühzeitiger ansetzen und die Eingliederung in die Gesellschaft im Vordergrund stehen. Der vollzugsöffnende Vollzug greife zu spät. „Es wäre großartig, wenn wir mit den Gefangenen beispielsweise auch pilgern gehen könnten. So wie das in Spanien und Dänemark bereits heute möglich ist.“

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