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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Als Märklin-​Geschäftsführer hat Wolfrad Bächle in den letzten Jahren einiges erlebt

Märklin-​Modelleisenbahnen spielen in Gmünd nur noch für Liebhaber und Sammler eine Rolle. Nur wenige wissen, was es gekostet hat, das 2009 insolvente Unternehmen zurück auf die Spur zu bringen und welchen Anteil der Gmünder Wolfrad Bächle daran hat.

Mittwoch, 01. Januar 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

Von Birgit Trinkle

Über Märklin wurde viel berichtet in den vergangenen Wochen – oder besser darüber, dass die Produktion zurück nach Deutschland geholt wird, und das ist ja nun wirklich eine gute Nachricht. Für Märklin steht mittlerweile auch Wolfrad Bächle. Dass der Mann Eisenbahnen mag, weiß halb Gmünd: An Sonntagnachmittagen gibt es einige Familien, die den Nachwuchs nur durchs Versprechen zum Spaziergang bewegen, „die Züge“ anzugucken, die bei Bächles über der doch recht aufwändig verstärkten Garage stehen – eine über 70 Jahre alte KÖF-​Diesellok und eine 120 Jahre alte majestätische Dampflok, die ihre vorläufig letzte Station auf dem Tieflader ansteuerten.
Wolfrad Bächle lebt die Liebe zu Zügen, die ihm wohl der Vater in die Wiege gelegt hat; der Gmünder Historiker Hans-​Wolfgang Bächle hat ebenfalls einen Modelleisenbahn-​Schatz zusammengetragen. Der Junior war zehn Jahre alt, als er die erste Spur-​H0-​Bahn sein Eigen nannte. Seither war er nie wieder ohne Züge, und wer, wenn nicht er, steht für all das, was Märklin ausmacht. Gelernt hat er Zahntechniker. Dass dann die Entscheidung, „die Liebe zum Hobby, zum Beruf zu machen“, wie er’s dieser Tage der RZ erzählt hat, eine gute war, daran gab und gibt es keinen Zweifel.
Auch wenn’s nicht immer einfach war. 1990 begann Wolfrad Bächle, 1966 im Margaritenhospital geboren, in der ehemaligen Gmünder Waggon-​Produktion Märklins an der Wilhelmstraße zu arbeiten – bis diese 1991 nach Thüringen verlagert wurde und der Märklin-​Standort Schwäbisch Gmünd mit zeitweise bis zu 200 Werks– und Heimarbeitsplätzen Vergangenheit war. Bächle hatte sich bereits in Gmünd bewährt und es in diesem einen Jahr zum Abteilungsleiter gebracht. Dann ging er als Projektierender nach Thüringen und betreute dort das Werk Sonneberg ebenfalls ein Jahr lang, bevor er sich im Stammhaus Göppingen durch alle Meistereien gearbeitet und vor allem Meisterbereiche geführt hat. 2005 ging er erstmals nach Ungarn. 2006 wurde er dort Werkleiter, zudem technischer Projektleiter in Göppingen.
1997 hatte Märklin den bis dahin eigenständigen Mitbewerber Trix aus Nürnberg gekauft. Das Unternehmen war – und ist auch heute – Marktführer der europäischen Modelleisenbahnbranche und eine Legende. Aber im neuen Jahrtausend ging’s steil bergab. 23 Eigentümer gab’s, 23 Gesellschafter in der fünften Generation der Märklinleute; keiner der Familiennachkommen war an der Führung des Unternehmens beteiligt; es wurde, so lässt sich Bächles Rückblick entnehmen, schlicht nicht mehr investiert. 2006 wurde die Gebr. Märklin GmbH nach einigen Jahren sinkender Umsätze und zuletzt gar Verlusten an die britische Finanzgruppe Kingsbridge Capital verkauft. Auf die Bemerkung, „hört sich nach Heuschrecke an“, meint Bächle schlicht: „Das war eine Heuschrecke; die haben überhaupt nicht verstanden, was Märklin ist.“ 2007 wurde der insolvente Hersteller der Lehmann-​Groß-​Bahn übernommen, vor allem aber suchte Kingsbridge das Heil in Fernost. Das Werk Sonneberg wurde als erster Schritt geschlossen, sämtliche Formen und Werkzeuge in großem Stil ausgelagert.
Im Februar 2009, ausgerechnet zum 150-​jährigen Jubiläum, ging’s nicht mehr weiter. Märklin war insolvent. Insolvenzverwalter Michael Pluta setzte noch im Februar 2009 Kurt Seitzinger als neuen Geschäftsführer ein, und wer mit Märklin-​Leuten spricht, sieht das Bild zweier Ritter in schimmernder Rüstung gezeichnet, die der bedrängten Märklin-​Maid zu Hilfe eilten – in den drei Jahren davor, so stellte sich heraus, hatte man bei horrenden Verlusten 40 Millionen Euro an Beraterhonoraren gezahlt.
Ende 2010 stimmten die Gläubiger dem Insolvenzplan zu: Märklin stand wieder unter Dampf. Arbeitsplätze wurden abgebaut, zuletzt Arbeitsplatzgarantien bis 2019 mit Änderungsarbeitsverträgen verbunden – aber seither wurde Fahrt aufgenommen, 2012 bereits ein zweistelliger Millionenbetrag als Gewinn ausgewiesen. Seit 2011 ist Wolfrad Bächle zweiter Geschäftsführer des Unternehmens; er verantwortet den Bereich Technik: Produktentwicklung und –dokumentation, Konstruktion, Entwicklungsabteilung, Formen– und Werkzeugbau, eben die gesamte Produktionskette bis hin zu einer Lokomotive, die den Erwartungen der Fans gerecht wird. Einfach ist das nicht. Heute berichtet Bächle von ganz vielen guten Entwicklungen. Der Gründer des Spielzeugherstellers Simba-​Dickie, Michael Sieber, hat im März 2013 gemeinsam mit Sohn Florian Märklin übernommen. Florian Sieber teilt sich mit Bächle die Geschäftsführung, und der Gmünder macht keinen Hehl daraus, wie viel Freude es macht, mit jemandem zu arbeiten, dem’s um das Produkt geht, mit dem sich bis nachts um die besten Lösungen ringen lässt. Ein Unternehmen wie Märklin kann nur so gedeihen.
Bereits seit 2009 fährt Märklin sehr konsequent die Fernostschiene zurück. Die LGB Lehmann Garteneisenbahnen wurden heimgeholt, vor allem aber wird die Baugröße Z – Modell-​Spurweite von 6,5 Millimeter, Maßstab 1:220 und damit die kleinste Modelleisenbahn – mittlerweile wieder zu 100 Prozent in den eigenen Werken Göppingen und Györ, Ungarn, produziert. Derzeit wird zudem die Spurweite N zurückverlagert, (Spurweite 9 Millimeter, Maßstab 1:160); ein Vorgang, der in 2014/​15 komplett vollzogen wird. Göppingen hat heute wieder 485 Mitarbeiter, Györ, zwischen Budapest und Wien ist wirtschaftlich gesehen die zweitwichtigste Stadt in Ungarn, wozu Märklin beiträgt. Hier gibt es eine Stammbelegschaft von 650, saisonal bis 800 Mitarbeiter.
„Wir habe eine ungeheure Fertigungstiefe“ beschreibt Bächle, was es mit diesen Rückverlagerungen auf sich hat. Bereits beim Druckguss, also beim Arbeiten mit werthaltigen Metallen – Loks und Wagen werden aus Zink gegossen – müsse sich Märklin von der vielfach mit Kunststoffgehäusen arbeitenden Konkurrenz abheben. Mit dem sehr modernen Bearbeitungszentrum lässt sich die Gussoberfläche nachbearbeiten. Da werden Fenster durchgefräst und Bohrungen an den Lokgehäusen durchgeführt; am Dampfkessel eines einzigen Güterzugs sind über hundert Bohrungen für die Ansteckteile notwendig. Jedes Detail – von dem Eisenbahner träumen und den der Rest der Welt noch nicht mal benennen kann – ist exakt, wie es sein soll. Dann geht das Teil in die Galvanik. Die Phosphatierschicht wird aufgebracht sowie über Spritzautomat oder Schablonierung Wasserbasisfarben – viel schwieriger aufzutragen als Nitrolacke. Schriften und Zahlen sind oft nur mit Lupe oder gar Mikroskop zu lesen, aber sie sind da; dass später jedes einzelne Fahrgeräusch stimmt, das Kohleschippen ebenso zu hören ist wie das Schwyzerdütsch in der Bahnhofsdurchsage in den Alpen, ist eher Kinderkram.
Das alles wird immer weniger in China gemacht. Die Preise dort steigen „permanent und extrem“, wie Bächle ausführt, auch entspreche der Qualitätsanspruch bei weitem nicht dem, was von Märklin zu erwarten sei. Bis zu zwei Jahre Lieferverzögerung habe es schon gegeben, vor allem aber sei die Rückverlagerung des „Produktionsstraußes“ und der „strategischen Entwicklung“ nach Göppingen und Györ tatsächlich eine strategische Entscheidung: „Wir machen die Schotten dicht.“ Das bedeutet, dass die komplette Entwicklungsleistung – „die Entwicklungsunterlagen, all unser Wissen“ – bei Märklin bleibt und nicht nach außen gegeben wird. In China sollen dann nur noch Einfachzüge im Batteriesegment und unabhängige Sonderartikel produziert werden. Damit kann Wolfrad Bächle, der sich so gern mit Zügen umgibt, sehr gut leben.

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