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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Die „Masterstory“ des Franz Konrad

Noch einen genaueren Blick auf die Rolle und das Leben Franz Konrads zu werfen, empfahl Cornelia Hecht. Nach Gmünds Oberbürgermeister in der NS-​Zeit und noch einmal in den 50-​er Jahren ist eine Straße benannt. Ein exemplarischer Fall für die Erinnerungskultur.

Freitag, 07. November 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 50 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (rw). Der Fokus der Erinnerungskultur weitet sich von den Opfern auf die Täter aus, Anlass sind nicht selten Straßennamen und Ehrenbürgerschaften. Inzwischen werden auch die Kommunen als Agierende im NS-​Staat wahrgenommen, darauf wies Bürgermeister Julius Mihm in seiner Begrüßung gestern Abend im VHS-​Saal hin. Der Raum war bis zum letzten Platz gefüllt mit Zuhörern, die zum Vortrag von Cornelia Hecht (Haus der Geschichte in Stuttgart) über „NS-​Eliten auf lokaler Ebene“ gekommen waren, VHS und Stadtarchiv hatten dazu eingeladen.
Julius Mihm sprach die geläufige Apologetik der lokalen Ebene in der Nachkriegs-​Bundesrepublik hin: „Die Täter waren andere, und Opfer irgendwie alle.“ Geschichte fand anderswo statt. Täter waren Hitler und sein Zirkel, auf örtlicher Ebene allenfalls noch der NS-​Kreisleiter Oppenländer. Ein Beispiel für die Abwehr unbequemer Erinnerungen lieferte Mihm gleich mit: 1955, als Franz Konrad erneut Oberbürgermeister war, beantragte AK Hänle, einer der „Jungen Europäer“ eine Gedenkfeier für die verschleppten Juden Gmünds. Konrad habe sich persönlich angegriffen gefühlt, der Gemeinderat schmetterte Hänles Anliegen ab mit der Begründung, Volkstrauertag und Totensonntag genügten zum Gedenken für alle, es brauche keine „Sonderveranstaltungen.“
Schwäbisch Gmünd stand nicht allein. Wie in der frühen Bundesrepublik die Hinterlassenschaft der NS-​Herrschaft bewältigt wurde, skizzierte Cornelia Hecht reichlich breit. Sie war alles andere als rühmlich. Zunächst gekennzeichnet von einer „allgemeinen Exkulpationstendenz“, beendeten erst die Auschwitz-​Prozesse der 60-​er Jahre das Beschweigen und Relativieren. In Baden-​Württemberg war die Filbinger-​Affäre von 1978 eine Wegmarke, in der ganzen Republik die rede von Bundespräsident von Weizsäcker am 8. Mai 1985. Zähe Auseinandersetzungen allesamt, die „Schlussstrich“-Bestrebungen wurden erst in den 90-​er Jahren beendet.
In der jungen Bundesrepublik besetzten die alten Funktionseliten schnell wieder ihre Plätze, die personelle Kontinuität unter den Beamten und in der Justiz habe schwerwiegende Folgen für das politische Klima gehabt, so Hecht. Entsprechend machte sich ein „problematisches Geschichtsbild breit“, das die Alleinverantwortung für die Verbrechen der NS-​Zeit Hitler und seinen Paladinen zuwies.
Nach einem Exkurs über die Durchsetzung der NS-​Ideologie mit „Führerprinzip“ und „Antiparlamentarismus“ auf der kommunalen Ebene ging es um die Rolle von Franz Konrad, des Gmünder Oberbürgermeisters von 1934 bis 1945 und von 1954 bis 1956. „Mein Blick auf Konrad war früher anders“, sagte Hecht. Sie hatte ihn zunächst auf den Verwaltungsmann der 20er-​Jahre und Bürgermeister von Laupheim (1924 bis 1934) gerichtet gehabt, auf den überzeugten Katholiken, der der NSDAP dort entgegentrat. Was ihn nicht hinderte, im Mai 1933 der NSDAP beizutreten, im Herbst des selben Jahres auch der SA.
1934 wurde er als Nachfolger des amtsenthobenen OB Lüllig nach Gmünd geschickt. Seine Aufgabe war es, die Stadt aus der Abhängigkeit von der Schmuckindustrie zu lösen und neue Betriebe anzusiedeln. 1945 pensioniert, wurde er 1948 zum OB gewählt in einer Wahl, deren Umstände skandalös waren und die US-​Militärregierung auf den Plan riefen. Konrad durfte sein Amt nicht antreten. Das geschah erst nach seiner erneuten Wahl 1954. Sein Amt versah er noch zwei Jahre, dann gab er auf, gesundheitlich angeschlagen und im Streit mit jenen, die ihn geholt hatten – nicht zuletzt der Kämmerer Erwin Ruisinger.
Um Konrads Rolle in der NS-​Zeit aufzuhellen, stellte Hecht eine Reihe von Dokumenten vor, von Konrads eigener Verteidigungsschrift vor der Spruchkammer von 1946 bis zum Brief eines jüdischen Bürgers aus Laupheim, der Konrad lange gekannt hatte. In der „Collage aus Texten“ machte Hecht eine „Masterstory“ aus, sie vermutete, dass Konrads Verteidigungsschrift zirkulierte. Dies spüre man an immer wieder auftauchenden Topoi wie der Erwähnung von Konrads Teilnahme an Fronleichnamsprozessionen. Fazit: „Es bedarf noch umfassenderer Untersuchungen.“ Sinnvoll sei es auch, nach den Personen und deren Motiven zu fragen, die die Straßenbenennung nach Franz Konrad im Jahr 1963 betrieben und durchsetzten. Auch bei der Umbenennung von Straßen riet sie zur Zurückhaltung und warnte vor „Purgierung“: Die Benennungen seien Dokumente, Geschichte lasse sich nicht ungeschehen machen. Schließlich: Zu bedenken seien die „gebrochenen Biographien“ und die Rolle der städtischen Gesellschaft. „Eine Stadt ist ein Mikrokosmos. Da hängen ganz viele Personen aneinander.“

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