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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Zigeuner ist kein Schimpfwort: Wie Ferid Ajeti und Kostana Ramic nach Gmünd kamen

Wie sie sich als Seelenverwandte kennenlernten, wie sie gegen alle Widerstände zusammenkamen und das Glück hatten, von „Europa“ für ein Jahr nach Gmünd geschickt zu werden – das ist der Stoff aus dem Theaterstücke gemacht werden. Die RZ besuchte Skill und Kostana im Esperanza, den HipHopper und die Krankenschwester.

Dienstag, 02. Juni 2015
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Sie sind jung, sie sind verliebt. Wenn Ferid Ajeti und Kostana Ramic die Burgruine Rechberg aus allen Perspektiven fotografieren und im Blick hinaus aufs Land schwelgen, unterscheiden sie sich in nichts von anderen Paaren, die dort oben als Ausflügler unterwegs sind. Erst beim zweiten Blick fällt das in seinen Arm tätowierte „Gipsy Mafia“ auf, wird deutlich, dass ihre Deutschkenntnisse noch etwas dürftig sind. Die beiden sind Roma, und zu einer Zukunft, in der Roma und Zigeuner keine Schimpfwörter mehr sind, wollen sie beitragen – durch ihre Musik und durch ihre Arbeit für die JKI, die Jugenkulturinitiative im Esperanza.
Ferid Ajeti ist in der HipHop-​Szene Serbiens, durchaus aber auch im Gmünder Raum als Skill aus der Band „Gipsy Mafia“ bekannt. Er kommt aus der serbischen Stadt Zrenjanin. Von 1991 bis 2001 hat er als vom Balkankrieg betroffener Flüchtling in Nordrhein-​Westfalen gelebt; der heute 30-​Jährige spricht perfekt Deutsch, auch wenn er sich mehr Schulbildung wünscht. Der Start als einziger Ausländer in seiner Klasse, ohne mehr als eine Handvoll deutscher Wörter zu kennen, war wohl von Anfang an ein einziger Kampf; nach seiner Rückkehr hatte sich das Thema Schule sowieso erledigt. Er jobbte auf dem Bau und als Landarbeiter – wie viele lange Tage hat er auf einem Traktor verbracht – , hat alle Gelegenheitsarbeiten übernommen, die ein bisschen Geld brachten: „Neben mir jobbten Akademiker fürs gleiche Geld“. Es gibt kaum Jobs für junge Leute in Serbien, bei den Roma liegt die Arbeitslosenquote bei fast 80 Prozent. Skill hatte das Glück der guten Deutschkenntnisse: Mittlerweile hat er sich mit dem Online-​Support und dem Aufbau der Internetseite einer deutschen Firma für Autoteile ein vergleichsweise gutes Auskommen geschaffen.
Politik und Musik ist für ihn eins. Untrennbar miteinander verbunden. Und begonnen hat alles, als in seiner Stadt ein junger Roma vor zahlreichen Augenzeugen von nationalistischen Schlägern halb tot geschlagen wurde. „Niemand hat sich darum geschert; in der Zeitung gab es Tage später eine kleine Meldung.“ Irgendwie hat das den Ausschlag gegeben. Als Roma kannte er nichts anderes als das Dasein als Bürger dritter Klasse – er wartet grundsätzlich drei, vier Stunden beim Arzt, andere marschieren durch –, aber nicht zuletzt seine Zeit in Deutschland hat ihn anderes gelehrt.
Nach dem Vorfall mit dem jungen Gewaltopfer begann er, in der Musik einen Ausweg zu sehen, Texte zu schreiben, schließlich 2006 mit seinem Bruder Emrah die Band Gipsy Mafia zu gründen: „Wir waren lausig schlecht am Anfang“, sagt er, voll von Sendungsbewusstsein und Botschaften und ganz ohne Ahnung vom Musikmachen. Das gab sich mit der Zeit, und als Keyboarder Adrian Uzzi Rizescu zu den Brüdern stieß, stellte sich Erfolg ein. 2013 kam das erste Album, „Ciganska Posla“. Das wird in Serbien gesagt, wenn irgendetwas nicht funktioniert. So wie ein Schwabe „Glomp elendigs“ sagen würde, spricht man in Skills Heimat vom „Zigeunerdreck“. Gipsy Mafia fand es an der Zeit, dem Ausdruck neue Bedeutung zu geben. Im selben Jahr 2013 lernten sich die Internetfreunde Ferid „Skill“ Ajeti und Kostana „Koki“ Ramic endlich kennen. Es sei gewesen, als seien sie alleine auf der Welt, als gebe es niemand sonst, der sie verstehe. Vor allem für Kostana war das ein unglaubliches Geschenk. Sie kommt ursprünglich aus Pristina. Als Roma aus dem Kosovo sind schlechtere Bedingungen für ein Leben in Serbien kaum denkbar, und auch privat kannte sie wenig Sonnenseiten. „Roma mögen keine Schwulen und keine Frauen, die sich Rechte anmaßen“, fassen die beiden ein Grundproblem ihrer traditionellen Gesellschaft zusammen. Ein Mädchen muss nichts lernen, sie heiratet sowieso. Sie muss die Klappe halten. Als sich die junge Frau für eine Ausbildung zur Krankenschwester entschied, gab’s nichts als Kritik. Skill mit seiner ganz anderen Art zu denken und zu träumen war ein Geschenk des Himmels. Etwas, das sie sehr glücklich machte. Weil der junge Mann aber Musiker ist, tätowiert und vor allem aus einem anderen Roma-​Stamm, musste sie die Beziehung geheim halten. Die beiden trafen sich heimlich, bis sie von Kostanas Mutter im fernen Belgrad händchenhaltend erwischt wurden. Sie rannten weg und hörten nicht auf, sich zu verstecken – lebten im Auto, dann von Skills Gehalt in einer kleinen Wohnung in Novi Sad. Seine Familie hat die junge Frau akzeptiert, so wie sie widerwillig gelernt hat, mit seiner Musik zu leben. Ihre Familie aber ist unversöhnlich, was die mittlerweile 21-​Jährige sehr belastet.
Skill hat seit Jahren Kontakte zu Gmünd. Er war über seine Musik bereits 2014 in Gmünd – er hat auf dem Stadtfest gespielt –, und initiierte gemeinsam mit der JKI eine Hilfsaktion für einen von Ehrenamtlichen betriebenen Kindergarten in Belgrads Roma-​Ghetto. Am Welttag der Roma ist er am Brandenburger Tor aufgetreten. Über „Erasmus+“, ein Bildungsprogramm der EU, konnte die JKI das junge Paar für ein Freiwilligenjahr nach Gmünd holen. Sie organisieren, sie putzen und betreuen im Esperanza. Sie bieten für Flüchtlinge Hiphop-​Workshop und Frauencafé an, und nicht zuletzt machen sie Musik. Politische Musik.

Am Donnerstag, 4. Juni, sprechen die
Beiden um 20 Uhr im Kulturzentrum
Esperanza, Benzholzstraße 8, über Leben und Kultur der Roma. Eintritt frei.

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