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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Radlerdemo für Klimaschutz: 200 Aktivisten protestieren mit Tunnelfahrt und Kundgebung

Rund 200 Klimaschutz– und Fahrradaktivisten haben am Freitagnachmittag in Schwäbisch Gmünd im Rahmen der Bewegung „Fridays for Future“ demonstriert. Mit einer Protestfahrt durch die Innenstadt und vor allem durch den eigens für sie gesperrten Einhorntunnel sorgten sie für erhebliche Verkehrsbehinderungen auf der B29 und im Bereich der Zufahrtsstraßen.

Freitag, 25. September 2020
Heino Schütte
2 Minuten 43 Sekunden Lesedauer

Die Initiatoren sprachen von einem „Weckruf“ an die Klima– und vor allem Verkehrspolitik. Es sei längst an der Zeit, aus dem Autoland Baden-​Württemberg ein Mobilitätsland zu gestalten. Ein Drittel der Treibhausgasbelastung werde vom motorisierten Verkehrsgeschehen verursacht, somit zähle das konventionelle Auto zu den schlimmsten Klimakillern. Die Organisatoren zeigten sich mit dem Ablauf der rund einstündigen Demo zufrieden und werteten die starke Teilnahme als Riesenerfolg. Weniger erfreulicher waren Kommentare und ungeduldiges Hupen von Autofahrern, die wegen der Tunnelsperrung in den kilometerlangen Staus in und vor Gmünd standen. Ausführlicher Bericht am Samstag in der Rems-​Zeitung.

Hier auch ein Kommentar von RZ-​Redakteur Heino Schütte:
Demonstrations– und Versammlungsrecht im Zusammenhang mit Meinungsfreiheit gehören zu den wertvollsten Grundrechtsgütern unseres freiheitlich-​demokratischen Staates. Wenn etwas sehr wertvoll ist, dann sollte doch auch jeder die Verpflichtung verspüren, auf ein solches Gut besonders sorgsam aufzupassen und es auch nicht zu missbrauchen. Sollte man meinen. In jüngster Zeit gibt es nun die Tendenz, dass die Sorg– und Achtsamkeit im Umgang mit der wertvollen Demonstrations– und Meinungsfreiheit entgleitet. Und dies sowohl auf der Seite der Protagonisten der jeweiligen Anliegen als auch der Kritiker oder Gegner derselben.
Eine unheilvolle Rolle spielen dabei auch die (sozialen) Netzwerke. Sie versetzen die Kontrahenten in die Lage, statt mit einem direkten Gespräch nun entweder mit Distanz oder gar mit getarnten Namen sowie mit einem wüsten Vokabular aufeinander loszugehen. Ein Vokabular, dessen Verwendung man sich bei einer persönlichen Gegenüberstellung kaum trauen würde.
Anlässlich der Tunneldemo kochen die Emotionen. In Vergessenheit geraten sind bei vielen Bürgern die tatsächlichen Anliegen und auch Respekt darüber, dass bei „Fridays for Future“ besonders die jüngere Generationen sich den Fragen zur Zukunft des Planeten und der Bewahrung der Schöpfung annimmt. Jahrelang wurde den jungen Menschen eher vorgeworfen, sich gedankenlos einem zügellosen Konsumverhalten und dem von Eltern und Großeltern erarbeiteten Wohlstand hinzugeben. Die Freitagsdemos sind also im Prinzip klasse und haben in den Köpfen der Politiker auch schon sehr viel bewirkt. Eine Demo darf ruhig auch laut und schrill sein. Sie soll Aufmerksamkeit erregen, um jeweils Andersdenkende zum Stehenbleiben, Zuhören, Nachdenken und zum Gedankenaustausch zu animieren.
Der selbstverständliche, fast schon leichtfertig gewordene Umgang mit dem wertvollen Gut Demonstrationsrecht hat aber da seine Grenzen, wo aus Argumentation Spektakel und Aktionismus wird und wo Mitbürger zu leiden haben, die man doch als Demonstrant für seine Anliegen gewinnen will. Und das war bei der umstrittenen Tunneldemo der Fall.
Denn die Aktion steckt voller Widersprüche. Ein speziell für Stadtklima– und Menschenschutz konzipiertes Verkehrsbauwerk ausgerechnet zur Hauptverkehrszeit am Freitagnachmittag lahmzulegen, um damit wissentlich und ohne Not ein Verkehrschaos auszulösen und obendrein auch noch den klimafreundlichen Personennahverkehr zu behindern, das ist mehr Provokation und weniger Demonstration. Ein Handwerker oder Trucker, der am Freitagnachmittag zügig ins Wochenende und zu seiner Familie fahren will, jedoch im Gmünder Stau „Fridays for Future“ ertragen muss, hat nun mit dieser Protestbewegung gewiss nichts Positives mehr im Sinn.
Die gestrige Tunneldemo wird in der breiten Öffentlichkeit nicht als gewinnbringend oder überzeugend, sondern als Rechthaberei, Diktat, Egoismus und auch schädlich für Anliegen und Ansehen der stillen Alltags-​Radlerzunft wahrgenommen. Fahrradfahren ist keine Erfindung von „Fridays for Future“.
Es ist traurig genug, dass die prinzipielle Leichtigkeit, Sorglosigkeit und auch Überlegenheit des Radelns in der Stadt (z. B. sich auch kreuz und quer durch Fußgängerzonen, gegen Einbahnstraßen und frei von Parkplatzsorgen bewegen zu dürfen) immer mehr überdeckt wird von Kompliziertheiten, Ideologie und Schubladendenken: Autofahren pfui, Radfahren hui!
Das respektvolle Miteinander im gemeinsamen und in Gmünd naturgemäß sehr engen Verkehrsraum zählt, ebenso das gemeinschaftliche Bestreben, den Radwegebau voranzutreiben. Nicht vergessen: Viele Auto– sind auch begeisterte Radfahrer. Die Tunneldemo hat statt einem Miteinander und Verständnis füreinander nun eher das Gegeneinander geschürt.





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