Marginalie am Wochenende: Überfluss und Armut

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Der Gang durch den Supermarkt offenbart, wie gut es uns doch geht. Die Obst– und Gemüseregale sind das ganze Jahr über prall gefüllt und auch andere frische Waren gibt es täglich zu genüge, sogar noch kurz vor Ladenschluss. Nur an manchen Tagen im Jahr ist das anders. Kurz vor Weihnachten zum Beispiel, wenn alle Kunden gleichzeitig in die Läden stürmen und kaufen, was für das Festessen benötigt wird. Den Rest des Jahres aber gibt es von allem sehr viel. In der Regel zu viel.

Sonntag, 23. Januar 2022
Nicole Beuther
137 Sekunden Lesedauer

Zig Joghurt– und Käsesorten füllen die Regale, unzählige Nudeln unterschiedlichster Hersteller sind zu sehen, Gemüse und Obst aus der ganzen Welt, Weine, deren Herkunftsorte vom Remstal bis nach Chile reichen.
Wie es ist, vor einem leeren Regal zu stehen, ist etwas, was viele Menschen zu Beginn der Pandemie erstmals erlebt haben. Über einen längeren Zeitraum mangelte es an Klopapier. Auch Mehl und Hefe waren zeitweise knapp. Vielleicht zum ersten Mal wurde so manchem bewusst, welch großes Geschenk es eigentlich ist, das ganze Jahr über sämtliche Produkte vorrätig zu haben. Ein eindrückliches Ereignis für die einen, Schnee von gestern für die anderen. Längst kann man wieder zwei Packungen Klopapier in den Einkaufswagen packen, ohne schräg angeschaut zu werden. Und auch im Lebensmittelbereich ist wieder mehr als genug vorhanden. Alles „normal“ sozusagen.
Für einige Einzel– und Großhändler indessen ist die Lage weiter angespannt. Rückstaus im Seefrachtverkehr hatten 2021 immer wieder für Lieferengpässe gesorgt, die Pandemie tat ihr Übriges und sorgte für Rohstoffknappheit und Logistikprobleme. Und während die Menschen munter einkaufen und ihre Einkaufswägen füllen, ist bei den Händlern die große Sorge zu spüren, dass die Omikron-​Variante und der Ausfall von Mitarbeitern auch im neuen Jahr Probleme bereiten könnte und Lieferketten bald nicht mehr aufrechterhalten werden können. Gibt es bald wieder leere Regale?
Vielleicht ist es Zeit, einmal sehr bewusst durch den Supermarkt zu gehen. Auch mit einer gewissen Dankbarkeit, dass selbst in solch turbulenten Zeiten meist alles vorrätig ist. Vielleicht sollte man sich auch viel bewusster darüber werden, dass es für viele, längst aber nicht für alle Menschen normal ist, in solch einem Überfluss zu leben. Ein Blick in den Gmünder Tafelladen zeigt das. Hier gibt es von allem zu wenig — ganz gleich, ob es gerade irgendwo auf der Welt Lieferengpässe gibt oder die Pandemie für Logistikprobleme sorgt. Leere Regale, das sieht man hier immer wieder. Ein Anblick, der einem bewusst macht, dass es auch mitten unter uns Menschen gibt, deren Geld nicht reicht, um satt zu werden und sich gesund zu ernähren.
Schön zu sehen, dass immer wieder jene, die viel haben, dazu beitragen, dass es auch anderen Menschen gut geht. Das Foodsharing-​Projekt gehört dazu. Die Offene Jugendarbeit in Kooperation mit der Jugendkulturinitiative hat vor geraumer Zeit den Anfang gemacht und bietet regelmäßig im Spitalhof all das an, was sonst womöglich im Müll landen würde – unverkäufliche Lebensmittel von Marktständen, Supermärkten und Bauernhöfen. Kommen kann jeder, einen Berechtigungsausweis braucht man nicht. Die ess-​bar des Bettringer Bürgervereins knüpft daran an. Auch hier geht es darum, einen wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln zu fördern.
Essen retten, das haben sich auch jene Gastronomen auf die Fahne geschrieben, die mit Hilfe der App „Too Good to go“ der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt haben und Lebensmittel kurz vor Ladenschließung günstiger verkaufen. Hier gibt es in Gmünd noch Ausbaubedarf. (bebo)