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Marginalie: Seien Sie entspannt!

Grafik: RZ

Viele Menschen haben Angst davor, vom technischen Fortschritt überrollt zu werden. Welchen Trend darf man nicht verpassen, welches Gerät ist unverzichtbar? Für diese Leute gibt es einen klaren Ratschlag: Seien Sie entspannt. Denn in den letzten 25 Jahren sind so viele Dinge in Vergessenheit geraten, die in der einschlägigen Fachpresse als „das nächste ganz heiße Ding“ angepriesen wurden.

Sonntag, 16. Oktober 2022
Franz Graser
2 Minuten 16 Sekunden Lesedauer

Auch wenn viele selbst ernannte Technikfreaks gerne kryptische Kürzel verwenden, um ihre Gesprächspartner zu beeindrucken und oft auch einzuschüchtern, kann der Rat nur lauten: Bleiben Sie gelassen. In der Regel verpassen Sie nichts, wenn sich Ihnen eine vier– oder fünfbuchstabige Abkürzung nicht auf Anhieb erschließt. Gerade Abkürzungen sind ja oft ein zweischneidiges Schwert. Eigentlich sollen sie ja die Kommunikation erleichtern, aber nicht selten wird ein undurchschaubarer Jargon daraus, der die Unwissenden von den Eingeweihten scheidet.

Wie etwa beim Militär: Wenn ein Rekrut den Befehl erhält, sich sofort im Rifuzufüzi zu melden, und dieser keine Ahnung hat, was damit gemeint sein könnte, ist oft der erste Anpfiff des Tages fällig. Wie kann denn der arme Mensch ahnen, dass er bitte im Richtfunk-​Zugführerzimmer Meldung machen soll? Seien Sie also entspannt und fragen Sie einfach nach. Natürlich fällt das nicht immer ganz leicht. Unwissen zuzugeben — und sei es nur vermeintliches Unwissen — ist nie einfach. Aber mitunter kommt es auch vor, dass sich die vermeintlich Eingeweihten hinter ihrem Fachjargon verstecken. Gerade die einfachsten Fragen wie: Was ist das? Wie funktioniert das? oder: Warum ist das wichtig? führen manchmal zu einem bedeutenden Erkenntnisgewinn — und sei es nur, dass offenbar wird, dass sich das Gegenüber möglicherweise viel weniger gut auskennt, als man selbst angenommen hat.

Um auf den technischen Fortschritt zurückzukommen: Die sogenannten Hype-​Zyklen sind mittlerweile sehr gut erforscht. Unter „Hype“ wird die zum Teil übertrieben inszenierte Begeisterung für eine neue Technik oder ein neues Produkt verstanden. Und das eherne Gesetz des Hype-​Zyklus weiß, dass auf den Gipfel der überzogenen Erwartungen stets ein jäher Abstieg und ein tiefer Fall folgen. Denn das neue Superding oder die aktuelle Wundertechnik erweist sich im Praxiseinsatz oft eben doch nicht als so vielseitig wie erhofft oder auch als anfällig für Defekte.

Marktexperten sprechen hier vom „Tal der Enttäuschung“. Da muss alles hindurch, was eben noch als das „nächste heiße Ding“ gepriesen wurde. Oft gibt es danach wieder einen Anstieg, den sogenannten „Pfad der Erleuchtung“. Der hat meist damit zu tun, dass sich für die jäh abgestürzte Technik eine Nische findet, in der sie ihre Stärken ausspielen kann, ohne dass ihre Schwächen allzu sehr ins Gewicht fallen.
Ein Beispiel: Der Kurzstrecken-​Datenfunk Bluetooth wurde vor 20 Jahren als Königsweg für drahtlose Vernetzung angesehen. Dabei wurden auch Irrwege beschritten, wie etwa der Versuch, Digitalkameras per Bluetooth mit PCs zu verknüpfen. Das funktionierte nicht sehr zuverlässig, und auch die Bedienung war ziemlich hakelig. Heute hat sich die Technik dagegen für drahtlose Freisprecheinrichtungen im Auto und für drahtlose Kopfhörer bewährt.

Oder, um im Jargon der Technik-​Analysten zu bleiben: Über den „Pfad der Erleuchtung“ wurde das „Plateau der Produktivität“ erreicht. Gut, nicht alle brauchen Bluetooth. Aber an dem Beispiel lässt sich ganz gut erkennen, dass auch vermeintlich neue Techniken eine gewisse Zeit zur Reife benötigen. Andere liegen längst auf dem Schrotthaufen der Geschichte. Oder wer weiß noch, was WAP, i-​mode oder HSCSD bedeuteten? In diesem Sinne: Bleiben Sie entspannt! Hans Riedl

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Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 557 Tagen veröffentlicht.


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