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Marginalie: Zeit, den Typ zu ändern

Foto: RZ-​Archiv

Für teutonische Recken ist der Nahe Osten kein gutes Pflaster. Zu den Zeiten der Staufer haben das die Kreuzritter erfahren, und nun hat es eben die deutschen Fußballer in Katar erwischt. Wie vor rund 800 Jahren verwehten auch diesmal die Träume im heißen Wüstenwind. Unserem Autor Hans Riedl ist dazu Einiges eingefallen.

Sonntag, 04. Dezember 2022
Franz Graser
2 Minuten 19 Sekunden Lesedauer

„V’rlaura hend’s, v’rlaura“, härmte ein Bekannter aus dem südöstlichen Ostalbkreis am Telefon und schwor, kein Spiel der wüsten Wüsten-​WM mehr anzusehen. Obwohl diese Beobachtung nicht stimmt: Technisch gesehen wurde das letzte Spiel ja gewonnen. Und im Vergleich zur letzten WM vor vier Jahren ist sogar ein Aufwärtstrend erkennbar, da die die Deutschen einen Punkt mehr als in Russland ergattert hatten und mit einem positiven Torverhältnis aus Arabien abreisen.

Bei der EM in zwei Jahren würde diese Bilanz mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Weiterkommen reichen, denn wegen des 24er-​Teilnehmerfeldes können dort auch die besten Gruppendritten das Achtelfinale erreichen. Und außerdem spielen Japan und Costa Rica da nicht mit.

„Aber das kann doch nicht unser Anspruch sein!“, ist das Echo der Fußballfachleute Netzerscher Prägung zu vernehmen. Nicht zuletzt deshalb, weil mit Übungsleiter Hansi Flick eine Spitzenkraft in Katar das Regiment führte. Nirgends auf der Welt war jemals ein Nationaltrainer mit so glänzenden Empfehlungen und mit so großen Erfolgen im Vereinsfußball ins Amt gekommen. Und vielleicht liegt genau hier das Problem.

Denn die Super-​Trainer sind mit Dirigenten zu vergleichen, die ein Spitzen-​Orchester brauchen, um die großen Erfolge zu holen. Was aber, wenn man mit einem solchen Orchester nicht dienen kann? Ein Pep Guardiola würde, um nur mal ein Beispiel zu nennen, beim VfL Bochum oder der Bielefelder Arminia wohl nicht funktionieren — ganz abgesehen davon, dass diese Klubs sich eine solche Koryphäe ohnehin nicht leisten könnten. Bei diesen Teams ist stattdessen ein ein ganz bestimmter Trainertyp viel öfter zu finden: Der Feuerwehrmann, der kurz vor Saisonende eingekauft wird, um den Abstieg zu verhindern.

Verkopftes Philosophieren über die „falsche Neun“ oder die „abkippende Sechs“ kommt bei diesem Typ selten vor. Er ist eher der Malocher, der dafür sorgt, dass sein Team bei einem Auswärtsspiel den hart erkämpften Punkt mit Disziplin festhält oder den durch ein „Dreckstor“ (O-​Ton Jürgen Klopp) erzielten Vorsprung über die Zeit rettet. Und wenn’s hinten zu oft brennt, lässt er mit Libero spielen. Die Null muss stehen, und vorn hilft der liebe Gott.

Interessanterweise ähnelt das Anforderungsprofil bei einem WM– oder EM-​Turnier durchaus dem, was ein Coach eines Abstiegskandidaten leisten muss: Aus einer begrenzten Menge an Spielen die optimale Punkt– und Torausbeute herauszuholen und aus dem vorhandenen Kader ein funktionierendes Team zu basteln. Und: Fehlt ein talentierter Außenverteidiger im Team, dann kann sich auch ein Bundestrainer nicht am Transfermarkt bedienen, sondern muss nehmen, was da ist.

Ein jedes hat seine Zeit, heißt es. Es gibt die Zeit für intellektuelle Feingeister, die nicht nur einen attraktiven Stil spielen lassen, sondern mit ihren Interviewbeiträgen auch das Feuilleton begeistern. Momentan scheint eher die Zeit für einen Malochertyp zu sein, wie sie früher vor allem im Ruhrgebiet zuhause waren.

Ein Typ wie Rolf Schafstall, eine ehrliche Haut, dem der VfL Bochum in den achtziger Jahren den Ruf verdankte, unabsteigbar zu sein. Der Kult-​Trainer-​Grantler Max Merkel hat ihn deshalb bei seinem berühmt-​berüchtigten Bundesliga-​Test in der „Bild“ mal mit sechs von fünf möglichen Bällen ausgezeichnet. Leider ist Schafstall 2018 gestorben.

Aber halt: Ist Peter Neururer noch frei? (Hans Riedl)

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Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 502 Tagen veröffentlicht.


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