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Marginalie: Affenpocken… geht alles wieder von vorne los?

Und täglich grüßt das Murmeltier, werden sich viele bei den Meldungen in der vergangenen Woche gedacht haben. „Patient mit Affenpocken in Großbritannien“ – „Erste Fälle von Affenpocken in Deutschland“ – „Affenpocken nun auch in Baden-​Württemberg“ Das alles kommt einem nur zu bekannt vor… Hatte es nicht 2020 genau so angefangen? Und nun, gefühlte zwanzig Lockdowns, einhundert verschiedene Eindämmungsstrategien und mindestens zwei Talkshows täglich zu dem Thema später, soll alles wieder von vorne losgehen?

Sonntag, 29. Mai 2022
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 5 Sekunden Lesedauer

Ganz so pessimistisch muss man nicht sein, bei aller Liebe zur Schwarzmalerei. Das Robert-​Koch-​Institut verweist auf die geringe Übertragbarkeit und den milden Verlauf der Affenpocken. „Nach derzeitigem Wissen ist für eine Übertragung des Erregers ein enger Kontakt erforderlich, deshalb kann gegenwärtig davon ausgegangen werden, dass der Ausbruch begrenzt werden kann.“ Eine Einschätzung, die manche Medien freilich nicht von dezent panischer Berichterstattung abhält. „Herr Doktor, müssen wir mit einer neuen Seuche rechnen?“ Dass der Herr Doktor mitunter gar keiner ist, oder wenigstens kein Virologe – geschenkt.

Und noch etwas erscheint wie ein Déjà-​vu: Das Framing in vielen Berichten. Die Infozierten seien oft Männer, die sexuellen Kontakt mit anderen Männern gehabt hätten. Nicht, dass das eine Rolle spielen würde, Affenpocken sind keine explizite Geschlechtskrankheit. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch sei nur durch engen Kontakt möglich, so das RKI. „Es ist derzeit nicht sicher, ob Affenpocken durch direkte sexuelle Übertragungswege (z. B. durch Sperma oder Vaginalsekret) verbreitet werden können.“ Auch eine Mutter, die ihr Kind umarmt, kann sich also mit Affenpocken anstecken. Genauso heterosexuelle oder lesbische Paare. Warum also etwas erwähnen, was sehr wahrscheinlich nur eine Korrelation und keine Kausalität ist? Schon schwirrt durchs Netz wieder das Gemunkel einer „Schwulenseuche“, unterschwellige Homophobie zeigt ihr hässliches Gesicht. AIDS lässt grüßen.

Zwar war man an den offiziellen Stellen bemüht zu betonen, dass die sexuelle Orientierung keinerlei Einfluss auf die Ansteckungsgefahr habe. Vor Angriffen und Stigmatisierung schützt das dennoch nicht, denn die, die diese Botschaft erreichen sollte und müsste, halten sich lieber Augen und Ohren zu. Ist ja auch einfacher, wenn man anderen die Schuld geben kann: An Corona sind die blöden Chinesen schuld und an den Affenpocken eben die Schwulen mit ihrem liderlichen Lifestyle.

„Nur wegen euch muss ich Maske tragen“, zischte damals im Herbst 2020 eine Frau im Supermarkt meiner Freundin zu. Dass deren Eltern aus Vietnam kommen und sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, war in diesem Moment egal – jedenfalls besagter Frau.

Auch das medial gerne verwendete Bild zweier Hände eines offensichtlich mit Affenpocken infizierten, afrikanisch-​stämmigen Person reizt online mitunter zu Kommentaren, die tief in die Abgründe der eigentlichen Gesinnung mancher Menschen blicken lässt. Weil es wohl schlicht einfacher ist, nach einem Blick auf ein Bild die eigene „Meinung“ kund zu tun, als den Artikel zu lesen.

Natürlich können auch Medienschaffende nicht immer alles richtig machen. Wer will, findet einen Anlass, Hass und Hetze zu verbreiten. „Don’t feed the troll“ heißt es aber nicht umsonst – gebt ihnen kein Futter, gebt ihnen keine Grundlage, ihr krudes Weltbild bestätigt zu sehen. (Anna Bernhard)

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Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 691 Tagen veröffentlicht.


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