Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Marginalie: Sherlock Bot auf heißer Spur

Foto: RZ

Mit dem Internet verfügt der Homo sapiens heute über eine Sammlung vieler nützlicher und noch mehr unnützer Informationen, die sich ähnlich wie das Universum ständig ausbreitet. Für fast alles findet sich in irgendeinem Winkel dieses Labyrinths eine Anleitung oder ein Video-​Tutorial, mit denen man sich etwa beibringen kann, einen scharfkantigen Zahn abzufeilen oder den Edelstein Achat zu identiizieren.

Sonntag, 04. September 2022
Alexander Gässler
2 Minuten 16 Sekunden Lesedauer

Ein Berliner Autor hat dagegen – hoffentlich nicht ernst gemeinte – Tipps zum gekonn-​ten Verfassen eines Hassbriefs auf seine Webseite gestellt. Anonym, steht da zu lesen, sollte der geschrieben werden, sachliche Argumente tunlichst vermieden und auf jegliche Form von Hölichkeit verzichtet. Wie gesagt: Satire! Jedenfalls könnte man dem Ratgeber dieser Tage einen weiteren Punkt hinzufügen: Das uncharmante Schreiben sollte auf jeden Fall mit der Formel „Sonnige Grüße“ beendet werden.

Der sonnigste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen, teilte der Deutsche Wetterdienst diese Woche zum meteorologischen Ende des Sommers mit, sei soeben verabschiedet worden. Nach bundesweit im Schnitt 817 Sonnenstunden – was bei 92 Sommertagen eine Quote von fast neun Stunden pro Tag ergibt – kann es nur die Misanthropie sein, die jemanden bewegt, einen Zeitgenossen in Schriftform an dieser wettertechnischen Schieflage teilhaben zu lassen. Die Folge der Hitze sind savannengleiche Parks und Allzeittiefstände in Flüssen quer durch die Republik.

Auch für die Gewässer im Ostalbkreis gilt seit Ende Juli ein verschärftes Wasserentnahmeverbot: Selbst in geringen Mengen für privaten Gebrauch darf aus Flüssen und Bächen kein Wasser mehr entnommen werden. Noch prekärer ist die Lage bei unseren europäischen Nachbarn. In Frankreich hatten Mitte August 60 der 101 Départements – die in sehr groben Zügen unseren Landkreisen entsprechen – strikte Maßnahmen zum Wassersparen verhängt und unter anderem das Befüllen privater Pools verboten.

In diesem Kontext lässt die Meldung aufhorchen, dass die französischen Steuerbehörden binnen Monatsfrist landesweit mehr als 20.000 nicht deklarierte private Schwimmbecken entdeckt haben – mithilfe von künstlicher Intelligenz. Eine vom alten Bekannten Google entwickelte Software fand die Pools während eines Ver– suchs auf Luftbildern in neun Regionen. 20.000, während eines Versuchs! Man kann sich denken, warum die Ämter die Ausweitung auf das ganze Land gar nicht abwarten können, spülte doch allein der Test zehn Millionen Euro in die Staatskasse.

Künstliche Intelligenz gilt heute als eines der spannendsten Forschungsfelder der Informatik und der Geisteswissenschaften. Dass auch die intelligentesten Computer nur so schlau sind wie die Daten, mit denen sie gefüttert werden, bewies Anfang August die Facebook-​Firma Meta, die ihren Chat-​Roboter Blenderbot 3 auf das Online-​Publikum losließ – oder vielmehr umgekehrt: Schon nach einem Wochenende hatten die Nutzer die Maschine mit so vielen kruden Theorien und Vorurteilen abgespeist, dass sie sich, wäre sie damals ein Mensch gewesen, sicher bereitwillig dem Sturm aufs US-​Kapitol Anfang 2021 angeschlossen hätte. Auch für ihren „Vater“, den Meta-​Chef Mark Zuckerberg, hatte der Bot nach wenigen Tagen kein gutes Wort mehr übrig.

Der Facebook-​Gründer mag sich mit dem Gedanken trösten, dass er, anders als Otto Lilienthal im Jahr 1896 bei einem Absturz seines Hängegleiters, die misslungenen Flugversuche seiner künstlichen Intelligenz nicht mit dem Leben bezahlen müssen wird. Denn so unnütz im Internet vieles sein mag – sterben wird der, der sich darin bewegt, doch nicht, solange er währenddessen nicht zu viel Cola trinkt und dann und wann auch mal ofline eine Runde um den Block dreht. (Robert Mirko)

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

1905 Aufrufe
545 Wörter
598 Tage 23 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 598 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2022/9/4/marginalie-sherlock-bot-auf-heisser-spur/