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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Marginalie: Nach dem Sturm ist vor dem Sturm

Foto: RZ-​Archiv

Die Fastnachtszeit ist vorbei, die Rathausschlüssel sind wieder in den Händen der rechtmäßigen Eigentümer. Einige dringende Fragen bleiben jedoch — und sollten bis zur nächsten Fastnachtssaison geklärt werden.

Sonntag, 26. Februar 2023
Franz Graser
2 Minuten 6 Sekunden Lesedauer

Anders als in der vergangenen Woche, als die Bilder der Rathausstürme die Zeitungsseiten dominierten, gab es am Aschermittwoch an mehreren Orten dezente, würdevolle Zeremonien, bei denen die karnevalistischen Gruppen die zuvor erstrittenen Schlüssel zu den Verwaltungssitzen an die zuständigen Behörden zurückgaben. Sofern es davon Bilder gab, dominierte schlichtes Schwarz die Szene.
Die gewohnte Ordnung ist also wieder hergestellt. Die juristische Bewertung steht aber seit langem aus.

Insbesondere muss geklärt werden, ob mit der Übernahme der kommunalen Verwaltung durch karnevalistische Repräsentanten (Fastnachtsprinzen und –prinzessinnen, Elferräte etc.) sowie ihrer begleitenden Garden oder gar Instanzen okkult-​magischer Praktiken (z. B. Hexenzünfte) ein rechtsfreier Raum entsteht, der selbstverständlich unbedingt zu vermeiden wäre. Die Frage des geordneten Übergangs von Verwaltungskompetenzen an genannte Instanzen und der allfälligen Rückübertragung derselben stellt sich ebenfalls jedes Jahr von Neuem.

Dabei ist noch nicht einmal das Problem berührt, welche karnevalistische Instanz im Fall eines solchen Übergangs kommunaler Kompetenzen als legitimiert anzusehen ist. Streitigkeiten zwischen karnevalistischen Gruppen sind keine Seltenheit; die Vielzahl unterschiedlichster Vereine in sogenannten Hochburgen wie Köln ist nicht zuletzt durch Austritte und Abspaltungen zu erklären, denen fraglos persönliche und sachliche Differenzen vorausgegangen sind.

Legendär ist zum Beispiel der Fall, dass die sogenannten „Blauen Funken“, die im Jahr 1870 aus einer Abspaltung der „Roten Funken“ entstanden sind, sich ihren inzwischen traditionellen Platz an der Spitze des Kölner Rosenmontagszugs durch List erstritten hatten. Zuvor hatte das zuständige „Festordnende Komitee“ den „Blauen Funken“ den Platz im Zug noch verweigert. Analog dazu ist zum Beispiel die Fallgestaltung denkbar, dass eine neu gegründete Hexenzunft das Recht auf den Rathaussturm für sich reklamieren und dieses auch faktisch durchsetzen könnte, indem sie einfach eine Viertelstunde vor dem angekündigten Termin auftaucht und die örtliche Verwaltung gefangen setzt.

Die traditionelle Maskengruppe, die später auf den Plan tritt, könnte dann zwar eine Verletzung ihres bisherigen Gewohnheitsrechtes geltend machen. Ob in solchen Legitimitätsfragen aber die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig ist oder ein Narrengericht angerufen werden muss, ist ebenfalls ein Desiderat der Forschung.
So muss vorerst offen bleiben, ob Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Fällen eines Rathaussturms ein Notwehrrecht beanspruchen können oder ob vorbereitend getroffene Abwehrmaßnahmen konkludent bereits einen Notwehrexzess konstituieren (vgl. Ernst von Pidde: Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ im Lichte des deutschen Strafrechts, Frankfurt/​Main 1968, S, 52).

Auch die Rechtsstellung kommunaler Wahlbeamter während der Zeit des karnevalistischen Interregnums hat in der einschlägigen Fachliteratur bisher kaum Beachtung gefunden. Ob etwa mit der Herausgabe von Rathausschlüsseln überdies zwingend der Zugriff auf kommunale Gelder, Fahrzeuge, Arbeitsgeräte und andere Hilfsmittel (wie Passwörter für EDV-​Anlagen) verbunden sein muss, ist ebenfalls nicht abschließend geklärt.
Dagegen empfiehlt die rein praktische Erwägung, den Rathausstürmenden nicht nur einen Schlüssel zum Gebäude, sondern auch zum Ratskeller auszuhändigen.

Es ist also offensichtlich: Es gibt viele offene Fragen zu diesem Tatkomplex. Und die Zeit drängt, um Klarheit zu schaffen. Denn auch im nächsten Jahr ist (vermutlich) wieder Fastnacht. (Autor: Hans Riedl)

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Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 417 Tagen veröffentlicht.


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