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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Kabarett in Gmünd mit Anna Piechotta

Foto: jtw

41 Jahre alt und immer noch nicht berühmt? Das muss doch zu ändern sein, denkt sich die Kabarettistin Anna Piechotta. Wie? Darin gab sie dem Publikum in der Gmünder Theaterwerkstatt ur-​komischen Anschauungsunterricht mit „Liebeslieder zum Entlieben“.

Dienstag, 21. März 2023
Thorsten Vaas
1 Minute 59 Sekunden Lesedauer

Ja, die Liebe ist eine Himmelsmacht. Doch damit so richtig Platz im Herzen für eine neue Liebe ist, muss die alte erst mal daraus vertrieben werden. Und weil Künstlerinnen und Künstler mehr Liebe brauchen als andere, verbannt Anna Piechotta erst mal all die alten Lieben aus den Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer: die zum Partner oder der Partnerin, die zu den Kindern.
Wenn sie darüber nachdenkt, den neben ihr schnarchenden Ehemann mit einer Axt zu spalten, erinnert dies textlich an den unvergessenen Georg Kreisler, für die Mär der missratenen Tochter Britta plündert sie den Vorrat an deutschem Volksliedgut auf unverfrorene Weise — dies alles zum Gaudium des Publikums, das sie von Anfang an auf ihre Seite zieht.
Ihre „Liebeslieder zum Entlieben“, sind urkomisch, von schwärzestem Humor durchsetzt und auch unerwartet zärtlich und poetisch. Dem Bayerischen Rundfunk war dies unlängst den Bayerischen Kabarettpreis in der Sparte „Musik“ wert. Angesichts des Programms, das Piechotta in der Theaterwerkstatt zeigt, ein Wunder, dass sie ihn jetzt erst bekommt.
Ihrem Klavierspiel und ihrer, in Gmünd durch eine gerade überstandene Mandelentzündung nicht hörbar beeinträchtigten, Stimme ist anzuhören, dass sie ihre Wurzeln im Jazz hat. Problemlos trifft sie aber auch den chansonartigen Ton, dies gibt ihrem Programm Farbigkeit und lässt die Zuhörer immer wieder aufhorchen.
Mit größter Freude erzählt sie singend von einem toten Dorsch aus dem Meer, der keine größere Delikatesse als Plastik kennt, bedauert kurz das Ableben eines Freundes, den ihre Vergesslichkeit ums Leben brachte. Eigentlich sollte sie seinen Lottoschein abgeben, vergaß es aber. Futsch waren der Hauptgewinn und auch die Lebensfreude des Spielers: Statt Toto-​Lotto gab es toten Otto.
Aber Piechotta kann nicht nur makaber, sie verspürt auch spitzbübischen Schalk, wenn sie eine „Welt ohne Rosamunde-​Pilcher-​Filme“ anstrebt. Wenn sie gesanglich Reiner zu spontanem, unverbindlichen Sex auffordert, dann ist das Ende voll jener Selbstironie, die manchmal in den Texten von Frank Ramond (Roger Cicero, Anett Louisan) aufblitzt.
Aber Piechotta ist Piechotta und würzt ihren Auftritt zudem mit Pippi-​Langstrumpf-​haftem Humor. Ihr Mienenspiel ist überraschend und expressiv, ob verschmitzt oder verzweifelt, lüstern oder listig.
Für ihre zukünftige Berühmtheit tut sie scheinbar alles. Sie schlägt clownesk auf der Bühne Purzelbaum und sinkt in den Spagat — beides in ähnlich bestechender Qualität wie ihr Gesang und ihr Klavierspiel. „Denn dafür gab es meist mehr Beifall als für meine Lieder“, sagt sie — Gmünd macht da keine Ausnahme.
Aber am stärksten bleibt wohl der stillste Moment des Abends haften. Eine Ballade über Verlust und Trauer, die plötzliche Ruhe in den Raum bringt und ganz viel Trost. In dem Moment hat Anna Piechotta ihren Platz in den Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer gewonnen, ganz ohne dass all die alten Lieben vorher daraus weichen mussten.

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