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Nachrichten Ostalb

Bienen mögen’s ebenerdig, Wanzen steigen aufs Dach

Foto: picture alliance /​FotoMedienService | Ulrich Zillmann

Der Bundesrat hat diesen Freitag eine Entscheidung für die Tonne getroffen. Das ist nicht despektierlich gemeint, im Gegenteil. In der Mülltonne landen ausgediente Kaffeebecher, Zigarettenschachteln, Plastiktüten und andere Einweg-​Kunststoffprodukte nämlich leider anteilig immer noch viel zu selten, dafür zu häufig in Parks, Gartenhecken, im Wald oder im Straßengraben. Eine Marginalie über Müllvermeidung und neues Leben im Stadtgrün.

Sonntag, 02. April 2023
Benjamin Richter
2 Minuten 9 Sekunden Lesedauer

Dass die Plastik-​Produzenten ab 2024 mit zur Kasse gebeten werden und je nachdem, wie viel Einwegkunststoff sie in Umlauf gebracht haben, eine Sonderabgabe an einen Fonds des Umweltbundesamtes abführen müssen, ist sehr zu begrüßen.

Einige Wegwerfartikel, die bei so manchem Erinnerungen an Geburtstage der Kindheit wecken dürften, wie Plastiktrinkhalme und Luftballonstäbe, sind in der Europäischen Union seit Jahren ganz verboten. Unsere belgischen Nachbarn sind dabei noch weiter gegangen als andere Mitgliedsländer. So ist auch der eine oder andere To-​go-​Behälter, der in Gmünd und Lorch noch über die Theke gereicht wird, in Gent und Leuven bereits von der Bildfläche verschwunden.

Geeignet, den umweltbewussten Belgier als positives Klischee zu etablieren, ist gleichfalls eine unlängst im Fachmagazin „Belgian Journal of Zoology“ veröffentlichte Studie zum Vorkommen von Insekten, Schnecken und anderen Tierchen auf begrünten Dächern und in ebenerdigen Grünanlagen. Die Frage, zu deren Beantwortung Jeffrey Jacobs, Natalie Beenaerts und Tom Artois eine ganze Reihe von Grünflächen unter die Lupe nahmen, lautete: Welche Sechs-​, Achtbeiner und Konsorten kommen wo häufiger vor? Und siehe da: Während Käfer, Asseln und Bienen sich im ebenerdigen Habitat wohler fühlen, tummeln sich Wanzen und Zikaden lieber ein paar Etagen weiter oben – ob der schönen Aussicht wegen, ist nicht überliefert.

„Unsere Ergebnisse stützen die Idee, dass umfangreiche Dachbegrünung in Belgien einen geeigneten Lebensraum für verschiedene wirbellose Gruppen bieten kann“, folgert das Zoologen-​Trio. Kann nun, was in Antwerpen richtig ist, in Gmünd falsch sein? Das Klima ist in beiden Städten – mit einem etwas milderen Winter in Flandern, dafür einem um wenige Grad erträglicheren Sommer auf der Ostalb – ähnlich.

Wie passend, dass der Denkanstoß aus dem Land, das so treffsichere Geistesgrößen wie Hercule Poirot und Kevin de Bruyne – „Ein Leben ist nie perfekt, es können immer Dinge passieren, das macht es interessant“ – hervorgebracht hat, für die Gmünder gar nicht unerwartet kommt: Spätestens seit der Vorstellung des Konzepts „Grüne Urbanität“ vor rund zwei Monaten im Gemeinderat setzt man sich auch hier mit der Möglichkeit von Fassaden– und Dachbegrünungen auseinander, die der Landschaftsarchitekt Jochen Köber als „Tools“ zur Verbesserung des Stadtklimas und gleichzeitigen Erhöhung des Naherholungswerts in die Diskussion eingebracht hatte. Einem mittleren planerischen Aufwand steht bei dieser Form der vegetativen Stadtgestaltung eine prognostizierte hohe Resilienz des „Ökosystems mit Münsterblick“ gegenüber, das der Eigendynamik überlassen werden kann.

Hier kommt wieder der Faktor Mensch ins Spiel, denn mit Bedauern muss konstatiert werden, dass unsere Spezies gerade im „Etwas-​sich-​selbst-​Überlassen“ nicht besonders gut ist. Viel zu gerne treten wir durch die Tür mit der Aufschrift „Notausgang“ ins Freie, auf das tolle grüne Dach. Wen kümmert es, wenn wir Essensreste, Chipstüte und Getränkedose irgendwo zwischen Farnen, Asthaufen, Kiesfeld und Schwemmholz liegen lassen? Es bleibt zu hoffen, dass wir uns das angesichts der erwartbaren Preisaufschläge nach der jüngsten Bundesratsentscheidung zweimal überlegen – und sein lassen. (Robert Mirko)

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