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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Alternativ-​intelligent

picture alliance /​blickwinkel/​B. Rainer | B. Rainer

Jeder redet immer mit. Egal, ob er Bescheid weiß oder nicht. Wo sich früher die Dummheit verschämt davonschlich, drängt sie heute ins Rampenlicht. Darüber ärgert sich unser Kollege Karl Kater in seiner Marginalie, die hier in voller Länge zu lesen ist. Das süße Katzenbild hat er nur ausgewählt, um Aufmerksamkeit und viele Clicks zu bekommen.

Sonntag, 04. Juni 2023
Jürgen Widmer
2 Minuten 24 Sekunden Lesedauer

Horst und Erika haben keine Zeit mehr, Stefan und Sybille auch nicht. Sie müssen sich informieren, damit sie mitreden können – und reden wollen sie. Noch lieber wollen sie mitbrüllen. Sei es auf Demonstrationen, an Stammtischen oder digital in asozialen Netzwerken.

Begonnen haben sie ihre Karrieren als Infokrieger zunächst noch ganz harmlos als Fußball-​Bundestrainer. Jahrelang wussten sie am besten, wer aufzustellen sei, warum dieser oder jener Trainer sowieso komplett unfähig ist, et cetera. Seit einiger Zeit wissen sie eigentlich alles – und das auch noch stets besser, weil sie angeblich über gesunden Menschenverstand verfügen, oder rechnen können, wie die berühmte schwäbische Hausfrau. So wurden sie Virologen mit Abschluss auf der Google-​Universität, mit Alternativfakten gefüttert von KenFM.

Als gäbe es eine Alternative zu Fakten. Aktuell agieren sie meist als Selfmade–
Militärstrategen oder „Lass-mir-meinen-Frieden“-Bewegte, die in ihrem Pseudo-​Pazifismus schon mal Morddrohungen gegen Politiker und Journalisten ausstoßen oder ihnen Prügel androhen.

Auch auf lokaler Ebene ist die Spezies bereits seit Jahren unterwegs, sei es als Straßenbauer oder Architekturkritiker. Dabei vergessen sie nie, darauf zu verweisen, dass in der Zeit, in der in Gmünd eine Brücke gebaut wird, woanders viel größere Bauwerke entstehen. Gern mal in China oder sonst wo.

Als Maßstab für die Qualität neuer Bauten dient ihnen nur der eigene Geschmack. Der wurde allerdings meist in der Ära von Nut– und Federbrett geprägt, maximal öffnet er sich hin zu einem Lieschen-​Müller-​Mittelalter. Wer ihnen widerspricht, der schränkt ihre Meinungsfreiheit ein. „Man darf gar nichts mehr sagen“, sagen sie mit einem unglaublichen Wortschwall und sehr laut und sehr öffentlich.

Nun soll nicht einem kritiklosen Hinnehmen hoheitlichen Handelns das Wort geredet werden. Im Gegenteil: Protest und Diskurs gehören bekanntlich zum Wesen einer Demokratie. Frag nach in Nordkorea oder Russland. Nur sollten Debatten auf der Basis von Fakten und Argumenten geführt werden und nicht von Empörung und Geschrei. Großmutter, die rechnen konnte wie eine schwäbische Hausfrau und genug Verstand besaß, um ihre Kinder allein nach dem Krieg durchzubringen, sagt immer: „Wenn man keine Ahnung hat, sollte man den Mund halten.“ Oder sich zumindest informieren.

Früher wurde Dummheit verschämt versteckt, heute fordert sie aggressiv ihren Platz im Rampenlicht. Und will mit ihrem Geplärr als wertvoller Debattenbeitrag verstanden wissen. All dies wäre noch zu verschmerzen, würde sich bei den ehrlich Nachdenklichen nicht immer häufiger die Haltung „Der Klügere gibt nach“ durchsetzen. Ist natürlich Blödsinn, weil die Folge ist, dass die Dummen dann die Welt beherrschen.

„Ich verstehe zwar nichts davon, aber ich bin dagegen. Das sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand.“ Diese Äußerung war tatsächlich am Nebentisch zu hören. In dem Gespräch ging es um Radwege in der Stadt. Da stellt sich die Frage, wie gesund ein Verstand sein kann, der auf dieser Basis seine Entscheidungen trifft: Ich habe keine Ahnung, davon jede Menge, aber weiß genau was richtig ist.

Horst und Erika haben immer noch keine Zeit, Stefan und Sybille auch nicht. Sie müssen sich informieren. Derzeit arbeiten sie an ihrem Alternativwissen über Klimapolitik, Energiepolitik und die Vorgänge beim FC Bayern München. Mit einer so genannten KI, also einer Künstlichen Intelligenz, wollen sie die Zusammenhänge sichtbar machen. Das müsste klappen, sagt ihnen der gesunde Menschenverstand. (Karl Kater)

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