Marginalie: Transparenz
Grafik: rz
An jeder Ecke wird Transparenz gefordert oder versprochen. Ein neues Projekt soll Transparenz in die Abläufe der B29-Baustelle bringen — zumindest in der Theorie. Ob das funktionieren wird und was Transparenz ihren vehementen Forderern etwas bringt, damit beschäftigt sich die Marginalie diesen Samstag.
Sonntag, 27. August 2023
Sarah Fleischer
2 Minuten 19 Sekunden Lesedauer
Wozu dient dieses „BIM Läb“ nun, außer, dass auch Ministerinnen und Minister sowie Landräte mit den Virtual-Reality-Brillen bei der Eröffnung so viel Spaß haben dürfen, wie kleine Kinder mit einem neuen Spielzeug? Der Kasten soll Bürgerinnen und Bürgern Einblicke in das Fortschreiten und die Hintergründe der Riesen-Baustelle B29 geben, sie an dem Projekt quasi teilhaben lassen.
Beschwerden à la „Warum dauert das denn so lange? Mit meiner eigenen Schaufel wäre ich schneller! So viel Steuergeld und dann wird nicht gearbeitet!“ , kennt man bei den zuständigen Stellen wohl zur Genüge. Die Idee: Wenn die Leute wissen, was da an der Baustelle alles passiert, dann sind sie geduldiger und verständnisvoller. Man muss zwangsläufig von extrem großem Vertrauen in die Rationalität der Menschheit an sich bei den Verantwortlichen ausgehen – anders ist diese Theorie nicht zu erklären. Oft genug werden schließlich offensichtlich dargelegte Fakten schlicht wegignoriert oder –diskutiert – sich über etwas aufregen, an dem es nichts Aufregendes gibt, macht schließlich viel mehr Spaß.
Dabei wird doch an allen Stellen Transparenz gefordert: in der Politik, in der Wirtschaft, in der Landwirtschaft, in der Rechtsprechung. Bundestagsabgeordnete müssen „gläsern“ sein, Lebensmittelhersteller jede einzelne Zutat genau auflisten, Juristen müssen Urteile mit Paragraphen und Präzedenzfällen begründen, der kommunale Haushalt ist öffentlich einsehbar. Durch den Zahlensalat der Stadt Gmünd etwa kann man sich bequem im Internet wühlen. „Transparenz“ dürfte damit neben „Transformation“ eines der Schlagworte sein, die oft gesagt, aber selten von allen ganz verstanden werden.
Dabei ist Transparenz ja wichtig: Wir wollen wissen, was in unseren Lebensmitteln steckt. Wir wollen sicher sein können, dass ein Richter fair urteilt und nicht aus ideologischer Überzeugung oder politischer Gesinnung. Wir wollen, dass Regierungen nach einem bekannten Prinzip und Abstimmungsverfahren Gesetze machen und nicht, dass der Kanzler morgens aufwacht und aus einer Laune heraus alle anderen Olafs für ungültig erklärt.
Transparenz kommt vom lateinischen „transparens“, was „durchscheinen“ bedeutet. Wir verwenden das Wort „transparent“ oft, wenn wir „durchsichtig“ meinen – wenn also etwas verdeckt, aber doch zu sehen ist. Allerdings bedeutet etwas zu sehen nicht automatisch, es auch zu verstehen – geschweige denn, es zu akzeptieren. Von Trans-Personen wird bislang maximale Transparenz bezüglich ihres Lebensstils, ihrer Psyche, ihrer täglichen Gewohnheiten und sogar ihres Sexlebens gefordert – und selbst dann werden sie von vielen nicht akzeptiert, geschweige denn toleriert.
Wer nicht versteht oder verstehen will, was er sieht, dem nutzt die größte Transparenz nichts. Wer Zutaten, die er nicht aussprechen kann, automatisch verteufelt, wird durch Zutatenlisten nicht beruhigt. Wer Politiker generell für korrupte Idioten hält, lässt sich auch von demokratischen Wahlen nicht überzeugen. Und wer sich gerne über Staus und Baustellen aufregt, wird sich von einem „ContÄiner“ nicht davon abbringen lassen.