Marginalie: Wikipedia und Google in einem
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Seit 50 Jahren ist der Gmünder Prediger das Kulturzentrum der Stadt. Schon zuvor hatte der Gebäudekomplex eine bewegte Geschichte: Er war unter anderem Kloster und Kaserne. Und eine Zeitlang war dort auch die Stadtbibliothek untergebracht. Eine Zeit, an die unser Autor Pilatus ganz eigene Erinnerungen hat.
Sonntag, 24. September 2023
Franz Graser
2 Minuten 30 Sekunden Lesedauer
Was macht ein Gebäude besonders? Alter? Baustil? Prunk und Pracht bei der Ausstattung der Räume? Oder doch mehr das, was sich innerhalb dieser Wände ereignet hat? Es sind die Menschen, nicht die Mauern, die ein Haus charakterisieren. Ein Beispiel dafür ist der Prediger. Obwohl Steine per se nicht reden können, so erzählen Gebäude dennoch viel über das Handeln und Denken der Menschen zu bestimmten Zeiten. Sie sind vor allem dann sehr „gesprächig“, wenn ein Autoren-Team zum Jubiläum in der Vergangenheit intensiv nach Spuren sucht und so akribisch zu Werke geht wie ein Archäologe bei der Ausgrabung eines Kulturdenkmals von Weltrang. Man darf gespannt sein, was alles in jenem Buch stehen wird, dass im Rahmen der Jubiläumsfeier der Öffentlichkeit präsentiert wird.
Nicht alles wird in diesem Buch über den Prediger stehen. Deshalb seien an dieser Stelle ganz persönliche Erinnerungen eines Journalisten erlaubt, der vor genau 40 Jahren im Prediger seinen ersten Termin für die Rems-Zeitung hatte und damals einen Artikel schrieb über die Ausstellung „Aus Steppe und Oase“; zusammengestellt von einem Völkerkundler namens Johannes Kalter über die Kultur der Turkmenen. Dieser allererste Job für die Zeitung ist irgendwie hängen geblieben im Gedächtnis – genau wie die Erinnerung, dass Klaus Eilhoff als Leiter des Kultur– und Informationsamts damals schon dabei war.
Und wenn man schon mal beim Schwelgen in Erinnerungen ist, dann dreht man die Uhr gleich noch weiter zurück in jene Zeit, als der Prediger nicht nur Museum und Veranstaltungsort war, sondern gleichzeitig Stadtbücherei und Domizil der Volkshochschule. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, dass diese Einrichtungen wirklich alle in einem Haus Platz gefunden haben. Aber es ging irgendwie; und dies obwohl die Stadtbücherei in diesen Zeiten für mehrere Schülergenerationen gleichzeitig Google und Wikipedia war und entsprechend viel Publikumsverkehr hatte.
Musste man ein Referat schreiben, führte der erste Gang normalerweise in den Prediger, um in endlos erscheinenden Regalreihen Bücher zu suchen, in denen vielleicht etwas zu diesem Thema stehen könnte. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis, ein schnelles Durchblättern – leider wieder nichts gefunden. Also weiter ging die Suche, bis endlich genug Stichworte auf dem Block standen, um sich zu Hause an die alte Schreibmaschine zu setzen und eine „Matrize“ zu tippen.
Also jene Folie, die hinterher durch ein Bad mit der Ausdünstung von Zwetschgenschnaps gezogen wurde, um den getippten Text zu vervielfältigen. Fotokopierer gab es zwar schon, sie waren aber sehr teuer und demzufolge selten. In der Stadtbücherei im Prediger stand eines der ersten öffentlichen Geräte – und jede kopierte Seite kostete 50 Pfennig. Nicht billig, wenn man bedenkt, dass es zur gleichen Zeit für weniger als sieben Mark eine ganze Kiste Bier gab.