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225 Jahre Rems-Zeitung

Wechselspiel des Anfangs

Die Rems-​Zeitung begeht ein Jubiläum: Vor 225 Jahren, am 11. April 1786, kam die erste Ausgabe ihres Vorläufers heraus

Zeitungen sind Kinder der Aufklärung, sie wurden am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft geboren. Sie entsprangen nicht zuletzt einer neuen Form des Wirtschaftens, die auf das Kräftespiel des freien Marktes und den schrankenlosen Austausch von Waren setzte. Damit wurde Information für Produzenten wie Abnehmer selbst ein wichtiges Gut.
In Schwäbisch Gmünd, dem der Export von Kunstgewerbeprodukten und Bijouteriewaren aus dem Gold– und Silberwarenhandwerk im 18. Jahrhundert eine Blütezeit beschert hatte, neigte sich die Zeit der Freien Reichsstadt dem Ende zu. Eine ganze Epoche verdämmerte, ein neues Zeitalter brach an.
Gmünds Erzchronist Dominikus Debler vermerkte im dritten Band seiner Chronik eher nebenbei jenes Ereignis, das die Geburtsstunde einer Zeitung in Schwäbisch Gmünd markiert: „Den 11. April 1786 ist das sogenannte Wochenblättle herausgekommen: wird alle Samstag das Stück per 6 Pfennig oder quartaliter für 18 Kreuzer abgegeben bei Benedikt Weeber.“ Von diesem „Blättle“, das leider in keinem einzigen Exemplar überliefert ist, leitet sich die heutige Rems-​Zeitung her – eine 225-​jährige Geschichte voller Windungen und Wendungen, aber doch in klarer Rechtsnachfolge. Damit ist die Rems-​Zeitung die älteste noch erscheinende Tageszeitung in Baden-​Württemberg.
Der Buchdrucker Benedikt Weeber aus Dinkelsbühl hatte schon am 4. März 1786 die Erlaubnis des „ganzen und geheimen Rates“ der Stadt erhalten, sein Wochenblatt zu drucken. Darin veröffentlichte er Mitteilungen des Magistrats, private Anzeigen und eine „Deutsche Geschichte“. Weeber aber hatte sich beim Kauf der Druckerei übernommen und musste wie der Vorbesitzer Konkurs anmelden.
1791 erhielt der Sohn der Hauptgläubigerin, Johann Georg Ritter, die Lizenz, die „Reichsstadt Gemündischen Nachrichten“ herauszugeben, die ab Anfang 1792 erschienen. Die älteste erhaltene Ausgabe stammt vom 2. Februar 1793, umfasst vier Seiten und berichtet in den Hauptschlagzeilen über die Hinrichtung des französischen Königs Ludwig XVI. Das Blatt erschien zunächst zwei Mal, später ein Mal wöchentlich und unterstand der amtlichen Überwachung und Zensur. Ritter schwebte eine unabhängige und politische Zeitung vor, was ihm schnell den Unmut der Obrigkeit eintrug. König Friedrich I. von Württemberg entschied am 28. Mai 1812, dass in Gmünd eine Zeitung „ganz überflüssig“ sei. Die entsprechenden Bekanntmachungen hatten die Gmünder fortan dem Ellwanger „Allgemeinen Intelligenzblatt für den Jaxtkreis“ zu entnehmen. Ritter, dem der politische Druck zu schaffen machte, wanderte 1824 nach Amerika aus – mit Frau, sechs Kindern, Drucker, Setzer, Arbeiter und einem Zeitungsschreiber. In Philadelphia angekommen, gründete er dort die erste deutsche Buchhandlung und Buchdruckerei, die überwiegend Bibeln und Schulbücher, Katechismen und Kochbreviers herausbrachte. Er starb 1840 bei einem Unfall in der Nähe von Lancaster in Pennsylvania.
Was Ritter in Gmünd zurückgelassen hatte, übernahm derweil F. W. Stahl aus Reutlingen. Der vermögende Mann richtete eine Druckerei ein, legte am 2. Juli 1825 die erste Nummer seines „Gemeinnützigen Wochenblatts“ vor und erklärte den Lesern am 14. September des gleichen Jahres, dass er künftig auch politische Nachrichten veröffentlichen wolle. Das ging gut, solange sich Stahl auf weit entfernte Ereignisse wie den griechischen Freiheitskampf beschränkte. Doch als auch auf deutschem Boden Forderungen nach Freiheit und demokratischen Verfassungen laut wurden, geriet Stahl in Schwierigkeiten mit den Zensoren, die einen politisch reaktionären Kurs verfolgten. Sie strichen ihm ganze Seiten.
Die Obrigkeit förderte ein Konkurrenzorgan, das ab Juli 1833 als farbloses „Intelligenzblatt“ (was nichts anderes bedeutet als Mitteilungsblatt) erschien, herausgegeben von dem Gmünder Bürger Joseph Keller. Stahl wurden die behördlichen Anzeigen entzogen. Er gab auf und verkaufte sein Haus Marktplatz 6 demonstrativ an den Gmünder Demokraten, Turnvater und Feuerwehrgründer Johannes Buhl.
Jakob und Johann Raach aus Reutlingen übernahmen Stahls Blatt und gaben ihm den Namen „Der Bote vom Remsthale.“ Damit hatte Gmünd zwei Zeitungen, was einen mörderischen Konkurrenzkampf heraufbeschwor, dem das Raachsche Unternehmen zum Opfer fiel. Johann Raach, mittlerweile Alleininhaber geworden, ließ sich dazu hinreißen, den „Boten“ zum Schleuderpreis anzubieten. Keller gelang es, die beiden Blätter zu vereinigen, und der „Bote vom Remsthale“ wurde ebenfalls ein Amts– und Intelligenzblatt mit obrigkeitshöriger Tendenz, das statt sechs Mal in der Woche nur noch drei Mal herauskam.
Mit der Revolution von 1848 brachen bessere Zeiten für die Meinungsfreiheit an. Der demokratisch und republikanisch gesonnene Fabrikant Eduard Forster gab ab 3. März 1849 den „März-​Spiegel“ heraus, der jedoch nur drei Jahre später aufgrund neuerlicher Einschränkungen der Pressefreiheit wieder einging.
Keller wiederum verkaufte den „Boten“ 1855 an Friedrich Löchner aus Schwäbisch Hall, der das Blatt zu einer modernen Zeitung ausbaute: Das Format wurde vergrößert, der Satzspiegel übersichtlicher. Ab 1865 erschien dieses Presse-​Erzeugnis fünf Mal wöchentlich, und am 2. Juni 1867 trug es erstmals jenen Namen, der ihm, von der Zeit des Nationalsozialismus abgesehen, bis heute als Gütezeichen heimatverbundener Berichterstattung geblieben ist: „Rems-​Zeitung’’, oder kurz – RZ.

Kontinuität bis heute

Ihren Titel und Schriftzug besitzt die RZ seit 1867 – und das stattliche Verlagsgebäude seit 1906

Die Zeitung florierte, ihre Auflage stieg rasch. Ab 1872 weitete die RZ ihr Erscheinen auf sechs Ausgaben pro Woche aus. 1895 trat Otto Härtel in den Verlag ein, der für den Anzeigenteil verantwortlich zeichnete, später Verlagsdirektor wurde und sich jahrzehntelang als hervorragende Führungsfigur bewährte. Der Gmünder Bankier Constantin Koehler war zeitweilig alleiniger Inhaber der Rems-​Zeitung geworden, suchte aber einen Käufer und fand ihn in Max Ritter, einem Redakteur aus Karlsruhe. Ritter modernisierte den ganzen Betrieb grundlegend: Er ließ zwei Setzmaschinen aufstellen, baute den Korrespondenz– und Bilderdienst aus – und schaffte schließlich eine Rotationsmaschine an. Die Auflage stieg auf über 6000. Bald reichte der Platz im Geschäftshaus Marktplatz 24 nicht mehr aus, und so kaufte Ritter Scheune und Pferdestall der Kreuzbrauerei an der Ecke Paradies– und Sebaldstraße, wo die RZ ab September 1906 in einem stattlichen Verlagsgebäude Quartier bezog. Diesem Standort ist sie seitdem treu geblieben.
Mit der Expansion hatte sich Ritter möglicherweise verspekuliert, jedenfalls verkaufte er schon vor dem Umzug Verlag, Druckerei und Gebäude an eine Verlags– und Druckereigesellschaft m.b.H Gmünd. Neue Geschäftsführer waren der Gmünder Fabrikant Karl Rieß und Franz Josef Vogt, Kaplan in Biberach, der zuvor schon in Gmünd das „Gmünder Tagblatt“, ein der katholischen Zentrumspartei nahestehendes Blatt, unterstützt hatte. Dieses Organ ging folgerichtig 1906 in der Rems-​Zeitung auf, die damit wieder eine Monopolstellung innehatte.
Ihre Auflage kletterte auf über 9000 Exemplare. Otto Härtel zog sich schon im Ersten Weltkrieg ganz auf die Unternehmensleitung zurück, während ab 1923 Adalbert Walter und Georg Sigg, der Vater der beiden heutigen Verleger, die Redaktion führten. Die zentrumsnahe Rems-​Zeitung hatte gegen die NSDAP Stellung bezogen und tat das auch noch nach den Wahlen vom 5. März 1933, mit denen Hitler seine Macht zementierte.
Damit waren Repressalien programmiert, die altbekannten Muster griffen: Die Behörden entzogen der Rems-​Zeitung ab 1. Juli 1933 die amtlichen Nachrichten. Die Gleichschaltung begann, und so wurde die Rems-​Zeitung 1936 gezwungen, mit dem NS-​Phönix-​Zeitungsverlag in Berlin einen Kaufvertrag abzuschließen. Die RZ und ihr Kopfblatt „Staufenpost“ wurden mit der von den Nationalsozialisten herausgegebenen „Remstalpost“ zur „Schwäbischen Rundschau“ zwangsvereinigt. Die moderne Remsdruckerei wurde eine Lohndruckerei, die ihre Aufträge von der NS-​Presse erhielt. Mit dem Verkauf an den Phönix-​Verlag waren die meisten bisherigen Gesellschafter ausgeschieden. Noch Anfang 1935 hatte Georg Sigg Einzelprokura erhalten.
Die „Schwäbische Rundschau“ beendete ihr Dasein, zwei Seiten dünn, am 19. April 1945 – einen Tag vor dem Einmarsch der US-​Truppen in Schwäbisch Gmünd. Der Geschäftsführer Georg Sigg war schon 1941 zur Wehrmacht eingezogen worden, seine Frau Rosa hatte die alleinige Verantwortung für das Unternehmen übernommen. Da Georg Sigg als kriegsvermisst gemeldet wurde, trat sie am 18. Mai 1945 auch die Verwaltung des gemeinsamen Vermögens an. Der Mutter von drei kleinen Kindern gelang es in schwierigen Zeiten, den empfindlich angeschlagenen Betrieb zu sichern. Sie erreichte, dass im Auftrag der US-​Militärregierung eine Soldatenzeitung gedruckt werden konnte.
Erneut geriet Rosa Sigg unter Druck, als nach dem Ende der Presselizenzierung ehemalige Anhänger der Zentrumspartei, darunter OB Hermann Kah, auf eine Zeitung mit eindeutiger politischer Tendenz drängten. Ein verstecktes Parteiblatt aber wollten weder Rosa Sigg noch der Geschäftsführer Max Diederich aus Biberach publizieren. Ihre Absicht war es, an jene Gmünder Verleger anzuknüpfen, welche die RZ als unabhängiges und liberales Blatt groß gemacht hatten. Unterstützung fanden sie bei den Herausgebern der „Neuen Württembergischen Zeitung“ (NWZ) in Göppingen, Karl Aberle und Dr. Fritz Harzendorf, die den Titel „Rems-​Zeitung’’ kauften und ihn an die frühere Besitzerfirma zurückgaben. Ab 29. August 1949 erschien die RZ wieder in der Remsdruckerei in der Paradiesstraße, deren Gebäude sieben Jahre später um einen stattlichen modernen Anbau für eine MAN-​Rotationsmaschine erweitert wurde.
Den überregionalen Mantelteil lieferte bis 1974 die NWZ, seitdem kommt er von den „Stuttgarter Nachrichten“. Gleichwohl blieb die RZ unabhängig, darauf achteten Rosa Sigg und ihr Sohn Meinrad Sigg, seit 1966 persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer des Verlags. Die Senior-​Verlegerin Rosa Sigg starb am 3. Oktober 1993. Sie war am 21. Mai 1990, ihrem 79. Geburtstag, in den Ruhestand getreten, nachdem sie 49 Jahre lang Verantwortung für das Unternehmen und die Beschäftigten getragen hatte. Seit 1993 stehen ihre Kinder Franziska Sigg und Meinrad Sigg gemeinsam an der Spitze des Unternehmens, und zwar als Geschäftsführer und persönlich haftende Gesellschafter. Als Verlagsassistentin bereitet sich Kerstin Sigg auf ihre Aufgaben in der Nachfolge vor.
Schon 1977 war bei der RZ der Blei– durch den Fotosatz abgelöst und damit das Computerzeitalter eingeläutet worden. Bildschirmgeräte für Anzeigensatz und Redaktion hielten nach und nach Einzug und es begann eine radikale Umwandlung der Zeitungsproduktion, die über den Klebeumbruch zur elektronischen Ganzseitenproduktion führte. In dieser jüngsten Phase ihrer Geschichte setzte Verleger Meinrad Sigg die RZ an die Spitze des technischen Fortschritts: Schon 1992 stieg der Verlag auf digitale Fotografie um und bestückte damit als erste Tageszeitung Europas ab 1993 routinemäßig die Zeitungsseiten. Dabei wurden die Bilder, die bislang in der Technikvorstufe noch von Hand in die umbrochenen Seitenvorlagen eingeklebt werden mussten, nun ebenfalls elektronisch eingefügt. Dies wiederum war die Voraussetzung für die Komplettübertragung ganzer Zeitungsseiten an das Druckhaus – und für den Ausbau der Bildberichterstattung in einer zunehmend visuell geprägten Zeit. Viele Delegationen von Pressehäusem und großen Verlagen gaben sich in der Folgezeit die Klinke in die Hand, um die Rems-​Zeitung zu besichtigen.
Nach 34 Jahren hatte auch die Hochdruck-​Rotationsmaschine von 1956 ausgedient. Sie ermöglichte zwar vierfarbige Drucke, doch Offset-​Maschinen erwiesen sich als deutlich überlegen. Am 24. November 1990 nahm die RZ eine innovative Rotation in Betrieb – gerade rechtzeitig, wie sich herausstellte, denn der Buntdruck setzte sich rasch auf breiter Front durch. Dennoch blieb die neue Anlage nur relativ kurz in Betrieb, werden doch seit 2004 die fertiggestellten Zeitungsseiten in die Großdruckerei des Stuttgarter Pressezentrums geschickt. Diese technologische Umstellung sicherte der RZ die wirtschaftliche, verlegerische und redaktionelle Unabhängigkeit angesichts eines rasant sich wandelnden, nicht unproblematischen Zeitungsmarktes. Neben die gedruckte Ausgabe tritt verstärkt der Online-​Auftritt, den die RZ erst jüngst erweitert hat, um damit das nächste Kapitel der eigenen Geschichte aufzuschlagen.
Trotz aller Neuerungen wird nicht vergessen, wo die Rems-​Zeitung wurzelt: Sie ist eine heimatgebundene Tageszeitung, die ihre Leser umfassend informieren und zu deren Orientierung und Meinungsbildung beitragen will. Ihrem großen Abonnenten-​Stamm und den treuen Lesern im ganzen Gmünder Raum weiß sie sich verpflichtet. In ihrem Jubiläumsjahr verzichtet sie auf aufwendige Feiern und baut, siehe oben, stattdessen ihre Berichterstattung im Online-​Auftritt, aus.
Nicht ohne Grund ist die Rems-​Zeitung das größte und meistgelesene Blatt im Gmünder Raum. Ein sichtbarer Ausdruck ihrer Bindung ist das Gebäude Sebaldstraße 10: Seit 1929 im Besitz des Verlags, wurde das über 500 Jahre alte Fachwerkhaus Mitte der 1990er-​Jahre denkmalgerecht restauriert und 1996 mit dem Preis des Schwäbischen Heimatbundes ausgezeichnet. Hier vereinigen sich Tradition und Moderne, wie es einem geschichtsbewussten Zeitungshaus zukommt, das sich heute, Tag für Tag, einer gewiss spannenden und hoffentlich guten Zukunft zuwendet.




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