Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Kultur

Fleißig aufs Podest und von der Rampe

Welch hohes Gut ist die Gerechtigkeit und wie weit darf man gehen, um sie zu erzwingen? Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ basiert auf einer historischen Vorlage, greift aber ein ewig gültiges Problem auf.

Samstag, 08. Oktober 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 6 Sekunden Lesedauer

THEATER (wil). In der Bühnenadaption von Wolf E. Rahlfs und Tommi Brem kommt aber das wahre Dilemma zu kurz, während Klamauk und Action das Stück auf Comic-​Niveau ziehen.
Auch wenn Justitia heute weniger beeinflussbar sein dürfte als zu Zeiten Kleists und der absolutistischen Fürsten, ist die Frage nach der Gerechtigkeit immer noch und immer wieder aufs Neue brisant. Michael Kohlhaas, Rosshändler auf dem Weg nach Dresden, wird Opfer eines Willküraktes des Junkers von Tronka. Er gibt zwei prachtvolle Rösser als Pfand, erfährt von dem Betrug und als er die Rösser wieder an sich nehmen will, sind diese durch Feldarbeit fast zu Tode geschunden. Kohlhaas fordert Schadensersatz, doch die Beziehungen des Junkers sind erfolgreicher.
Auf Drängen seiner Frau versucht er es weiterhin im Guten, doch bei der Übergabe der Bittschrift wird die treue Gattin tödlich verletzt. Nun will sich Kohlhaas selbst Recht verschaffen, mit einem angeworbenen Haufen belagert er die Burg Tronkas und brennt sie nieder, verfolgt den Flüchtenden bis Wittenberg, wo er gleichfalls Feuer legt und Teile der Stadt einäschert. Auf Vermittlung Luthers zieht Kohlhaas nochmals nach Dresden, wo man ihn nun amnestiert und in seiner Ross-​Frage Recht gibt. Da er aber den kaiserlichen Landfrieden gebrochen hat wird er dennoch verurteilt, stirbt aber im Glauben an den Sieg der Gerechtigkeit.
Die Badische Landesbühne, die am Mittwoch im Gmünder Stadtgarten zu Gast war, hat ihr Bühnenbild auf Tourneetheater ausgerichtet. Eine blanke Alu-​Wand mit vier Laufstegen erinnert an ein Kühlhaus, die vier Türen sind eher Sperre denn Einlass. Geschickt wird dieser Aufbau auch als Büro genutzt, die Kälte der Verwaltung symbolisierend. Die vier Akteure ebenfalls weiß gekleidet und geschminkt unterstreichen das Schemenhafte, Farb– und Gefühllose. Jeder Schlag auf das Blech ein Knall, Ausdruck ohnmächtiger Wut oder kriegerischer Angriffe. Genug Tristesse für 75 Minuten Spielzeit, eine angemessene Kulisse für die sich anbahnende Tragödie.
Die Tragödie blieb auf der Strecke, aber unterhaltend war es doch
Doch diese kam nicht. Die vier jungen Akteure übten sich im Chorsprechen statt in klarer Rollendefinition. Denn diese war nicht festgelegt, abwechselnd schlüpften sie in die Rolle des Kohlhaas, mit endlos scheinenden Wiederholungen wechselten sie in einer Szene die Rollen, bis jeder jedem alles gesagt hatte. Dazu Musik, manchmal zu laut, manchmal zu schrill, welche der Verständlichkeit eher abträglich war. Fleißig legten die Schauspieler ihre langen Wege auf der Bühne zurück, erklommen das Podest und sprangen von der Rampe wieder zurück — doch wozu? Ganzkörperzuckungen sorgten zwar für Heiterkeit, zogen die Inszenierung aber auf Comic-​Niveau und nahmen unnötig den Ernst aus der Handlung.
Es ist den Bruchsalern sicher gelungen, das vor allem junge Publikum auf diese Art zu amüsieren und eine Schwellenangst vor dem Theater zu nehmen. Nun müssen sie nur noch versuchen, auch der Intention des Autors gerecht zu werden und den Spagat zwischen der Spaßgesellschaft und dem Drama um die Gerechtigkeit zu schaffen. Vielleicht klappt es bei der nächsten Inszenierung.

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

2416 Aufrufe
505 Wörter
4585 Tage 2 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 4585 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2011/10/8/fleissig-aufs-podest-und-von-der-rampe/