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Festival Europäische Kirchenmusik: Ensemble Officium

Musik „nur“ der Renaissance und „nur a cappella“? Das Konzert mit dem ensemble officium unter Leitung von Wilfried Rombach fand ein volles Heilig-​Kreuz-​Münster – Beweis dafür, wie sehr diese Kunst begehrt ist.

Freitag, 05. August 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
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KONZERT (-ry). 90 Minuten forderten den zwölf bis vierzig Choristen samt Dirigenten an ihren Notenpulten eine physische und psychische Kondition sondergleichen ab. Wie oft detonieren auch gute Chöre im Moll, bei officium nahm man durchwegs eine ungetrübte Intonation wahr. Dabei muss jeder seinen Part allein bestreiten.
Bereits im Künstlergespräch mit Programmdirektor Dr. Ewald Liska umriss der überaus sympathische Rombach das große Feld seines zeitlichen Fokus: selbst bei den Freiburger Domsingknaben musikalisch groß geworden, heute als Kantor der Tübinger Johanneskirche tätig. Dann 1999 die Gründung von officium, wo er auch die Ausbildungsimpulse von Hans-​Georg Renner einbringen und ausbauen konnte. Daraus ist ein hoch angesehener Experte geworden, der sein umfangreiches Wissen und seine Kompetenz als Sänger und Kirchenmusiker zum Segen begeisterter Hörer praktiziert. So informierte Brombach zu Räumen (das Gmünder Münster an Größe San Marco vergleichbar, wenngleich akustisch schwieriger; zum riesigen Dom zu Florenz, London 1567), zu Legenden (Allegris „Miserere“: Mozart, Kaiser Leopold I.) oder zu Kompositionstechniken, der Frage der Begleitung oder zu Striggios Einfluss auf Tallis, di Lasso oder Lechner.
Bereits 2007 wirkte Rombach mit seiner Johanneskantorei beim Eröffnungsgottesdienst der EKM mit, nun also mit officium (i. d. R. vier Frauen– und acht Männerstimmen) und der Mehrchörigkeit bis zu 40 Stimmen. Dann werden auch noch drei Sänger krank, verbunden mit der Sorge um Ersatz.
Den einen Brennpunkt des wunderbaren Konzerts bildeten fünf gregorianische Responsorien, von der Damenschola feinsinnig intoniert – das Stundengebet der Frauenkonvente assoziierend.
Eckpfeiler der 40-​stimmigen Motetten waren jene von Alessandro Striggio (8x 5 Chöre) und Thomas Tallis (5x 8 Chöre) – verteilt im Chorraum und auf Podesten der Seitengänge. War das ein Raumerlebnis! Dr. Liskas Hinweis auf die „Utopia triumphans“ gewann eine nicht überbietbare Analogie. Und die „visio beatifica“, die „seligmachende Schau Gottes“, wurde ein Stück vorweggenommen: „Träume und Visionen“, raumzeitlich inkarniert im Konzert in einem „traumhaften“ Gotteshaus. Zugleich das respektvolle Staunen ob der (perfekten) Kunst der Stimmführung, einer homogenen Dynamik, des Verschmelzens von bis zu 40 individuellen Stimmen.
Bei Gregorio Allegris mit Spannung erwartetem „Miserere mei, Deus“ (Ps. 51), in der Sistina damals nur am Karmittwoch und Karfreitag aufgeführt, teilten sich die neun Stimmen in zwei Chöre, der Solochor mit improvisierter Kolorierung bis zum c’’’ vor dem Hochaltar, dazu die indirekte Beleuchtung (wegen jener mystischen der Außenfester) – kann das Herz mehr angerührt werden?
Von Luca Marenzio gab es zwölfstimmige Klage (Jakobs um seine zwei Söhne oder des Psalms 137 – immer mit gläubigem Trost), im „Sanctus“ von Prospero Santini gleichsam Stafetten der „gloria tua“, sodann ein Ineinander von Rhythmus und Chorwechsel in Palestrinas Vertonung des 128. Psalms.
Nach diesem Konzert ist noch klarer verständlich, warum das Reformkonzil zu Trient gerade Palestrina als Maßstab liturgisch mehrstimmigen Singens apostrophiert hat.
Leonhard Lechners Hochzeitsmotette „Quid Chaos“ zu 3 x 8 Stimmen ist ein eindrücklicher Dialog von Liebe, Chaos und Gott sowie der Chorbitte, dass die Liebe bleibe. Die Innigkeit der Dialogdichtung von Paul Schede Melissus spricht für sich, wie viel mehr in der Klangpracht Lechners!
Schließlich zwei Mal derselbe Text („Spem in alium numquam habui“ nach Judith 8, 19 und 6, 15), erst gregorianisch, dann 40-​stimmig von Thomas Tallis, darf als Summe des Glaubens in Israel verstanden werden: Gotteslob ganz realistisch, eingedenk der Armseligkeit des Menschen: „Blicke auf unsere Ohnmacht!“. Auch durch Heinrichs VIII. Schisma verlor die Einheit der Liturgie nichts.
Standing ovations für einen beglückenden Abend mit nachklingendem Hörgenuss.

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