Opernfestspiele Heidenheim: Heinrich Marschners „Vampyr“ hatte eine glänzende Premiere

Kultur

Rems-Zeitung

Seit 1969 präsentiert sich Heidenheim als bedeutsame Opernfestspiel-​Stadt. Nach Verdi– und Mozart-​Reihen begann letztes Jahr eine Romantik-​Trilogie mit Webers „Der Freischütz“. In deren Logik folgte heuer Heinrich Marschners „Der Vampyr“ — ein viel zu selten aufgeführtes und damit kaum bekanntes, aber hochrangiges Bühnenwerk. Von Peter Skobowsky

Mittwoch, 15. Juli 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
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OPER . Allein schon hierin liegt das durchaus historische Verdienst der Veranstalter. (2010 wird Wagners „Der Fliegende Holländer“ den logischen Abschluss bilden). Kein Geringerer als Hans Pfitzner hat eine scharfsinnige Analyse der Oper im Kontext zu wirklich Vergleichbarem (Mozarts „Don Giovanni“ und eben Wagners „Holländer“) und in der Abwehr zwar gehandelter, aber damit nicht weniger wahrer Vorurteile (etwa des Abkupfern bei Webers „Freischütz“) seiner eigenen Bearbeitung des Marschnerschen Meisterwerks vorangestellt: Kriterien für einen angemessenem Umgang und Grenzen der Willkür durch Regisseure oder Dirigenten, leider auch in Heidenheim zu beklagen.
Dass Webers und Marschners genannte Opern beide in diesem Jahr abwechselnd geboten werden, legte Regie und Ausstattung nahe, eine möglichst ähnliche Bühne zu verwenden, wobei Regisseur Bruno Berger-​Gorski und seinem Bühnenrealisator Klaus Hellenstein bei Marschner eine durchgehend stringentere und deshalb rundum überzeugendere Inszenierung gelang. Das begann mit der Symbolik der Farben, der Pointierung des Höllenszenarios mit (in der kongenialen Idee von Christiane Milenko) choreografisch meisterhaft agierenden Geistern, der Platzierung bzw. In-​Besitz-​Nahme der Schlossruine durch die Akteure sowie in der vielfältig und treffend variierten Kostümierung der Charaktere: überaus gelungen — summa cum laude. Dasselbe galt für die musikalischen Details: Die Nürnberger Symphoniker spielten bei klammen 14 Grad Celsius einen exzellenten, durchdifferenzierten Orchesterpart, fein, aber selbstbewusst begleitend. Natürlich hatte der Dirigent Marc Tardue mit präziser Schlagtechnik und zwingender Gestik das Ganze souverän in der Hand.
Den Solisten und bestens erfahrenen Stuttgarter Choristen wurde die nötige Führung zuteil; aber Tardue ließ den nötigen Freiraum, der die Szene erst lebendig werden lässt. Also: Musik vom Feinsten. Das gilt gleichermaßen für die prächtige Komposition in allen dramatischen Facetten wie auch für deren Interpretation. Solistische Haupt– und Nebenrollen waren glänzend besetzt, deren Gestaltungswille respektabel. Vampir Lord Ruthven hatte in Björn Larssons gleichermaßen sonorem als auch wandlungsfähigem Bariton einen keinesfalls plumpen Blutsauger, sondern einen überzeugenden Charmeur, der die menschliche und dämonische Dualität seiner Rolle markant auslotete. Sein Gegenspieler Edgar Aubry, Harrie van der Plas, sang einen heldisch wie lyrisch emotional mitreißend kontrastierenden Tenor.
Die drei vom Vampir auserkorenen Opfer, Janthe (Stephanie Forsblad), Malwina (Ruxandra Voda) und — vor allem die aus dem einfachen Volk stammende Emmy (Sabine Ritterbusch) in deren authentisch realisiertem Zwiespalt, füllten ihre Rolle zwischen gesellschaftlichem Anspruch, den eigenen Bedürfnissen sowie der Ambivalenz menschlich versuchbarer Liebe und dämonischer Macht mit einer Hingabe, deren Emotion man sich kaum entziehen konnte. Das Publikum hatte einen natürlichen Sinn für die Qualität der Leistungen und honorierte sie entsprechend deutlich: eben die herausragende Sabine Ritterbusch, dann Björn Larsson und Harrie van der Plas.
Karl-​Friedrich Dürr (im Vorjahr als Kuno, jetzt) als Sir Humphrey Davenaut überzeugte in der Vaterrolle (Malwinas) durchaus, das mangelnde Legato war seinen Linien eher abträglich. Sir John Berkeley, Janthes Vater, hatte in Urs Markus (wie im Vorjahr als Eremit) einen zuverlässigen Deuter kleinbürgerlicher Enge, gepaart mit der Liebe eines ebensolchen. Und der George des Michael Siemon verriet einen glaubwürdigen Liebhaber Emmys mit wunderschön lyrischem Tenor und natürlichen Emotionen. Der Samiel des „Freischütz“, Klaus-​Peter Preußger, hatte wiederum ein gelungenes Heimspiel als stets präsenter Vampyrmeister.
Bei allem Lob seien die unverzeihlichen Defizite nicht verschwiegen: Dass der geschasste Marco-​Maria Canonica in der Chronik des Programmheftes nicht einmal genannt wurde, zeugt angesichts seiner unbestreitbaren Verdienste um die „OH“ nicht von Größe.
Dass Aubry seine Emmy vampirhaft beißt, ist eine willkürlich überzeichnete Hineininterpretation aus der Drohgebärde Ruthvens. Dafür wurde seine Arie (Nr. 17), ein lyrisches Kleinod, einfach gestrichen, und: Warum ließ man das keineswegs marginale Keif-​Quintett der Suse mit den von ihr gehörig (beim Namen genannten und) gebeutelten vier Taugenichtsen einfach weg, obwohl der Volkscharakter zwingend in den inhaltlichen Kontext der feiernden Menge gehört?
Das Industriegemälde über dem Portal hing gleich einer „aktuellen“ Eingebung beziehungsgenötigt „in der Luft“.
Schließlich: Warum wurde nach dem vom Blitz zerschmetterten Vampir (der 94 Takte umfassende!) Schluss mit Vergebungsbitte Davenauts und dem Dank– und Lobgesang an den Ewigen förmlich kastriert, wobei die wenige Sekunden dauernde Zusammenführung Aubrys und Malwinas durch Davenaut geradezu tragikomisch unvermittelt, überfallartig, die Oper „beendete“, was das Publikum, entsprechend verständnislos, lachend quittierte?
Wenn das Pfitzner erlebt hätte … Schade: ein „Schlag ins Kontor“ — nach sonst einer glänzenden Aufführung, für die zu Recht viel Beifall gespendet wurde.