Festival Europäische Kirchenmusik: Josquin Capella in St. Cyriakus Straßdorf

Kultur

Rems-Zeitung

Das Konzert der Josquin Capella in St. Cyriakus Straßdorf schloss nahtlos am Musikforum des Nachmittags an, gab es doch ausschließlich A-​cappella –Musik des 15./16. Jahrhunderts mit Kompositionen von Johannes Ockeghem, dem Namensgeber des Ensembles: Josquin Desprez und — nach der Pause — von Henrich Finck.

Donnerstag, 30. Juli 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
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KONZERT (-ry). Allein der stilistische Vergleich, sodann die ständig wechselnde Ausführung von drei bis zu sechs Stimmen sowie die Textumsetzung in eine metrisch wie stimmführungsintensive Vokalpolyphonie bedeuteten einen ungeheuren Gewinn, zumal die Hochrenaissance trotz wachsender Interpretenzahl (dokumentiert auf vielen CDs) keineswegs zum Allgemeingut geworden ist.
Genau hier lag das Verdienst der EKM-​Verantwortlichen, mit der Josquin Capella ein Ensemble gewonnen zu haben, das sich ganz souverän als authentischer Botschafter dieser wundervollen Musik erwies. Spiritus rector Meinolf Büser, der auch für das instruktive Programmheft verantwortlich zeichnete, versammelt um sich eine internationale Liebhabergruppe, die in Projekten das Repertoire erarbeitet und im ihren liturgischen Kontext erschließt: alles sehr wirkungsvoll.
Nur wer, auf sich selbst gestellt, die geforderte Stimme allein zu singen hat, kann ermessen, welch hoch zu bewertende Leistung in etwa siebzig Minuten durch jedes Ensemblemitglied erbracht wurde: Miriam Andersén und Sabine Lutzenberger (Sopran), Paul Kirby und David Munderloh (Tenor), Guido Heidloff (Bariton) und Joel Frederiksen (Bass). Dirigent Büser gab gestisch nur den Fluss der ineinander verwobenen, selbstredend unterschiedlichen Metren sowie die Dynamik vor. Wer die Partitur gesehen hat, kann nur erstaunt Respekt zollen: Da gehen die Takte ganz unterschiedlich in– und übereinander. Das Ohr der Hörer wird dessen nicht gewahr, weil alles so homogen, dennoch differenziert strömt. Die kunstvoll strukturierte Architektur legt Zeugnis ab von der hohen Kompetenz ihrer Schöpfer. Deshalb ist die Kontrapunktik der Stimmen von wunderbarer Harmonie der daraus entstehenden Akkorde, die nur einmal gezielt homophon fokussiert sind: beim „Et incarnatus est“ im „Credo“ des Schlusswerks, der Missa super „Ave præclara“ zu 4 bis 6 Stimmen von Heinrich Finck, von Josquin Capella minutiös ausgefeilt dargeboten.
Die ganz und gar verschmelzend aufeinander hörenden Stimmen haben zugleich Kontur, auch Kraft. Der sonor schwarze Bass des Joel Frederiksen gibt das tragende Fundament der komplexen Mehrstimmigkeit, während die anderen Kombinationen von zwei oder drei Vokalisten durch die Andersartigkeit der Farben den Text entsprechend ausleuchten kann. Die wunderbare Akustik der Kirche unterstützt das Ganze auf einem Teppich natürlichen Halls.
Ockeghems Requiem ist allein schon wegen jener der heutigen oder tridentinisch andersartigen Textzusammenstellung auch in der Wirkung ganz originell: ohne die Sequenz des erschütternden „Dies iræ“, mit dem Offertorium beschließend, kein Sanctus, Benedictus, Agnus Dei, ohne Communio, Responsorium und Hymnus. Dafür mit Psalm 42 („Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“) ein existenzieller Tractus.
Das zweite Werk, Josquins Nänie auf den Tod des verehrten Ockeghem, ist ein großes Monument in Tönen, ein Aufruf auch an die Freunde, zu weinen ob des Verlusts des „guten Vaters“. Welche Farbigkeit des Ausdrucks, welch eine stilistisch gereifte Weiterführung! Mit der Messe Heinrich Fincks wurde auch diesbezüglich noch eins draufgesetzt: Alle Register des Ausdrucks menschlicher Regungen erschüttern, wenn man das Gehörte verinnerlicht.
Kaum eine Trübung des Genusses, so engagiert, konzentriert und hingebungsvoll stellten die Künstler ihr Vermögen in den Dienst einer überzeugenden Interpretation. Deshalb der lange herzliche Beifall, von einer Zugabe belohnt.