Vreni Krieger bringt in ihren Collagen die Verhältnisse zum tanzen: „Vom Surrealismus zum I-​Realismus“

Kultur

Rems-Zeitung

Der da rechts unten in der Ecke, dieser soignierte Herr mit der Zigarre, ist das nicht der Dr. Freud aus dem Wiener Universitätsviertel? Aber wer ist der Eierkopf darüber, über der umrankten Venus? Theodor W. Adorno? Oder bloß ein DDR-​Apparatschik?

Donnerstag, 25. November 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
131 Sekunden Lesedauer

AUSSTELLUNG (rw). Die Fragen wachsen dem Betrachter nur so entgegen. Es gibt so vieles zu sehen in Vreni Kriegers Collagen, so vieles zu entdecken in den Tiefen ihrer Bilder, in ihren so zufällig erscheinenden Abgründen. „Vom Sur-​Realismus zum I-​Realismus“ ist eine Entdeckungsreise und eine Offenbarung — und die wohl frischeste, unbekümmertste Ausstellung des Jahres in Schwäbisch Gmünd, vom kompositorischen und narrativen Vermögen der 45-​jährigen Künstlerin ganz zu schweigen.
Vreni Krieger tritt uns hier als Molly Rokk entgegen, eine Schneidermeisterin von Geschichten und Cutterin im Kopfkino. In ihrem bürgerlichen Leben arbeitet die Gmünderin, Mutter von zwei erwachsenen Töchtern, als Bereichsleiterin bei der Arbeitslosen-​Selbsthilfeorganisation, kümmert sich um jugendliche Alg-​II-​Empfängerinnen und deren Qualifizierung. Mit Kunst befasst sie sich seit 20 Jahren, war bei Performances und Happenings des „Gmünder Streifens“ dabei und macht seit zehn Jahren im Unikom mit. Künstlerische Aktionen mit jungen Frauen im Rahmen ihrer Berufstätigkeit kommen hinzu. Literatur, Happenings, Malerei, Installationen, Collage, das fließt bei ihr in die „interdisziplinäre Zusammenarbeit“, wie sie es formuliert. Buchillustrationen, das ist so ein Traum von ihr. Versuchsweise hat sie damit schon angefangen, mit Texten des Dichters Kvazz (Uli Stephan), mit dem sie die Eröffnungsperformance und –lesung zur Ausstellung gestaltete.
Begonnen hat alles mit einem Stapel Visitenkarten, unbrauchbar geworden, weil Vreni Krieger ihren Namen änderte. „Die Identität stimmte nicht mehr. Also tat ich das, was wir alle tun, um unsere Identität herzustellen. Ich wählte aus den schon vorhandenen Informationen, Bildern, Meinungen aus und setzte das, was ich vorgefunden hatte, neu zusammen. Dabei entstand jeweils ein kleiner Teil Identität.“
Wie immer: Jeder Künstler steht auf den Schultern von anderen. Molly Rokk stellt sich in die Tradition der Dadaisten und Surrealisten. Und Ror Wolf, da strahlt sie, „den mag ich auch“, den Raoul Tranchirer mit seinen kriminalistischen, humoristischen und erotischen Motiven, den Meister der spielerischen und abgründigen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Sie setzt ihre Variante hinzu: den „I-​Realismus“. Irrealismus steckt drin, aber auch die Identität und das englische „I“, das Ich. Die Behauptung der Autonomie ist nicht weit, und hier geht es auch um die Würde und die Wünsche des Einzelnen: „Nein, wir sind nicht vereinzelt und unglücklich in atomisierten Beziehungen, wie uns Vertreter der Warenhausfraktion zum Zwecke unserer leichten Verführbarkeit implizieren wollen… Was Realität genannt wird, ist definitiv nicht wirklich, sondern beruht lediglich auf einer allgemeinen Übereinkunft, die völlig beliebig ist.“
Also schneidet und konstruiert sie drauf los, füllt Bildräume und erfüllt sich Bild-​Träume. Oft mit 40 Jahre alten Illustrierten, Modefotografien oder Abbildungen aus Büchern. Es darf aber auch mal ein Supermarktprospekt sein, und manchmal reibt sie Druckmotive durch. Ein Jahr lang hat sie so hart gearbeitet, um diese Ausstellung zu schaffen. Sie hat es wirklich geschafft.

Vreni Kriegers Collagen sind noch bis zum 28. Nov. im Unikom-​Kunstzentrum zu sehen (Fr — So 16 — 19 Uhr). Am heutigen Donnerstag lädt sie ab 16 Uhr zu Kaffee und Kuchen, am morgigen Freitag ließt Molly Rokk den „Bericht: Aliens in Sagres“.