Bekanntes und neu Entdecktes: der Philharmonische Chor singt Werke von J.S. Bach und Carl Heinrich Graun im Münster

Kultur

Rems-Zeitung

Bekanntes – das brillante „Magnificat“ von Johann Sebastian Bach – und neu Entdecktes – das festliche Weihnachtsoratorium von Carl Heinrich Graun – steht auf dem Programm desweihnachtlichen Konzertes desPhilharmonischen Chors.

Donnerstag, 02. Dezember 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
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KONZERT (bef). Unter der Leitung von Stephan Beck wird zusammen mit dem Gmünder Chor die Sinfonietta Tübingen musizieren. Anna Escala (Sopran), Kathrin Koch (Alt), Bernhard Berchthold (Tenor) und Teru Yoshihara (Bass) übernehmen die Solopartien. Das Konzert findet am Samstag, 11. Dezember, 19 Uhr, im Heilig-​Kreuz-​Münster statt.
Das „Weihnachtsoratorium“ des Bach-​Zeitgenossen Carl Heinrich Graun (1704 – 1759) war lange in Vergessenheit geraten und wurde erst 1998 gedruckt vorgelegt; wegen seiner hohen musikalischen Qualität erfreut es sich seither auch international einer wachsenden Beliebtheit. Allerdings ist bis heute eine genauere Datierung nicht gelungen.
In Wahrenbrück geboren, wurde Graun 1724 als Hofsänger nach Braunschweig berufen, wo er auch Opern komponierte und zum Vizekapellmeister aufstieg. 1735 wechselte er nach Berlin in die Kapelle Friedrichs des Großen. Hier hatte er zahlreiche Kantaten zu komponieren. Nach einer Italienreise – er sollte dort für Berlin italienische Sängerinnen und Sänger gewinnen – widmete er sich ganz der Oper, mit der er den Geschmack des Königs und der Öffentlichkeit so gut traf, dass er zum Star des Berliner Opernwesens avancierte. Bis zu seinem Tod war er der gefeierte Komponist schlechthin, die Stütze des Berliner Opernprogramms. Und zu seinen Lebzeiten wesentlich berühmter als etwa Johann Sebastian Bach.
Sein Werkverzeichnis umfasst neben zahlreichen Opern auch mehrere geistliche Werke; relativ häufig aufgeführt seine Passion „Der Tod Jesu“. Das Weihnachtsoratorium steht wohl musikgeschichtlich am Beginn des „empfindsamen Stils“, was auf eine Entstehung in der Braunschweiger Zeit hindeutet. Nur wenige Textteile sind dem Lukas-​Evangelium entnommen, der überwiegende Teil besteht aus frei gedichteten Betrachtungen, Dialogen und Meditationen. Der besondere musikalische Charakter von Grauns Oratorium liegt in dem ausgewogenen Wechsel von melodisch betonten und kontrapunktisch streng gearbeiteten Chorsätzen, von gefühlvollen, farbenreich instrumentierten Arien und ausgreifenden Rezitativen. Insgesamt stellt das zurecht der Vergessenheit entrissene Werk ein wichtiges Zeugnis der Entwicklung eines empfindsamen und andächtigen Kirchenstils dar, der ab ca. 1730 Komponisten wie Theoretiker zunehmend beschäftigte.
Das „Magnificat D-​Dur“ (BWV 243) ist neben dem „Weihnachtsoratorium“ Bachs bekannteste weihnachtliche Komposition. Es gehört zu den wenigen Vertonungen von lateinischen Texten, und auch die ungewöhnliche fünfstimmige Vokalbesetzung rückt das Magnificat in die künstlerische Nähe der „h-​Moll-​Messe“. Uraufgeführt wurde es 1723. Dieses Jahr brachte für Bach einschneidende berufliche Veränderungen: Im Juni trat er die Stelle als Thomaskantor in Leipzig an. Er gab eine ungebundene Stelle am Köthener Hof auf mit der Aussicht, der Erneuerung der protestantischen Kirchenmusik dienen zu können. In Leipzig hatte er fast für jeden Sonntag eine geeignete Musik zu komponieren, einzustudieren und aufzuführen; dazu zählte das „Magnificat“, das auch im protestantischen Leipzig in der lateinischen Fassung gesungen wurde. Der Text (Lukas I, 46 – 55) umfasst den Lobgesang Gottes, den Maria anlässlich ihres Besuches bei Elisabeth anstimmt. Bachs Vertonung dieses Textes fand unter besonders günstigen Bedingungen statt: Für die Ausarbeitung blieb ihm mehr Zeit als für die meisten seiner Kantaten, zudem standen ihm zwei Chöre zur Verfügung, und so wurde das Magnificat zu einem Werk mit besonderer Strahlkraft, wozu auch die festliche Tonart D-​Dur beiträgt.
Den Rahmen des zwölfsätzigen Werks bilden die Chöre. Indem Bach im Eingangs– und im Schlusschor das selbe thematische Material verwendet, erreicht er eine besondere Geschlossenheit. Im Zentrum steht der fugierte Chorsatz „Fecit potentiam“, der durch den vollen Einsatz des Orchesters und des fünfstimmigen Chores strahlenden Glanz bekommt. Eine besondere Überraschung in der Textbehandlung bringen der vierte und der fünfte Satz: Den ersten Teil „Et exultavit“ tragen der Solosopran und die Oboe d´amore in einer introvertierten Arie alleine vor, bevor Chor und Orchester im jäh beginnenden dramatischen „Omnes generationes“ den Gedanken vollenden. Starke Kontraste bilden auch die dramatische Tenorarie „Deposuit“ (Nr. 8) und die folgende abgeklärte Altarie; die Altistin wird hier von den beiden Travers-​Flöten begleitet.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass Bach mit dem „Magnificat“ am Anfang und der „h-​Moll-​Messe“ am Ende seiner produktiven Leipziger Zeit Werke schuf, die der Liturgie des Protestantismus und des Katholizismus gemeinsam sind.