Crazy for you gestern Abend im Stadtgarten: Es war eine rauschende Premierennacht

Kultur

Rems-Zeitung

Banker von Mamas Gnaden trifft beherztes Postmädchen; es könnte die große Liebe sein, und gemeinsam wollen sie ein altes Variete-​Theater retten. Aber New York und ein staubiges Nest in der Wüste, das passt einfach nicht zusammen. Oder? Das Kolping-​Musiktheater wollte es gestern bei der Premiere von „Crazy for you“ ganz genau wissen.

Sonntag, 07. Februar 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
213 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Es gibt kein richtiges Leben im falschen: Bobby Child hasst die Bank, und seine Verlobte macht ihn auch nicht fröhlicher. Das richtige Leben, die Bühne, winkt, als er ein Provinztheater schließen soll und statt dessen beschließt, es zu retten. Mit allen Mitteln, selbst wenn er dafür den ungarischen Varieté-​Gott Bela Zangler spielen muss. Dass der echte Zangler dann tatsächlich auftaucht, unter anderen, ist Komödiengesetz. Geschliffene Dialoge, nette Handlung: Aber es ist Rhythmus, was dieses Stück ausmacht. Rhythmus sorgt dafür, dass sich tausend Zuschauer mehr oder weniger im Einklang bewegen, dass selbst ein Gehen zum Tanz wird und gut geschulte Tänzerinnen eine lebensgroße, problemlos immer wieder neu zu arrangierende Puppenstube mit richtigem, echtem Leben füllen können — die dann wechselweise Großstadt ist oder ein buchstäblich verschlafenes Dorf. Rhythmus, besser Gershwins unverwechselbare und bis heute unerreichte Musik, lässt auch vergessen, dass in diesem Jahr zwar auf deutsch gesprochen, gestritten und geliebt, aber eben auf englisch gesungen wird; bei diesen Liedern verbietet sich eine fast zwangsläufig enttäuschende Übersetzung von selbst. Was sie erzählen, wird in jeder Sprache verstanden. Die Lust am Leben und an der Liebe, am Tanz und an der Musik nicht zu vergessen. Oder den flammenden Appell, nicht aufzugeben, weiterzumachen, mit erhobenem Kinn und der „stiff upper lip“ — ein später von ganz anderen Musikern aufgenommenes Motiv -, die als britische Eigenart mit Formeln wie „niemals aufgeben“ ohnehin nur unzureichend getroffen wäre. Es gibt da diese Abschiedsszene mit einem der schönsten Liebeslieder überhaupt, und zu sagen, dass Michael Schaumann und Asita Djavadi als verlorenes Paar (die beiden können hervorragend miteinander) diesem Lied gerecht werden, ist ein Riesen-​Kompliment: Das Publikum muss nicht wissen, dass „er“ sich immer daran erinnern wird, wie „sie“ ihren Tee trinkt, oder wie sie getanzt haben bis in den Morgen hinein. Dass er sie nicht vergessen wird, macht die Musik mehr als deutlich. Michael Schaumann ist großartig, aber das ist bekannt in der Stadt. Eine Überraschung sind all die Nebenrollen, die diese Produktion so einmalig machen. Joseph Marra, im vergangenen Jahr noch als Gangsterboss äußerst präsent auf der Bühne, gibt den temperamentvollen Theaterproduzenten Zangler, dass dem Publikum zuweilen schier die Luft wegbleibt; mit 150-​prozentigem Körpereinsatz turnt und taumelt und tobt er über Tische, Bänke und Tresen hinweg, klingt zuweilen wie Peter Alexander, singt auch schon mal wie Rockröhre Tina Turner und ist mit all seiner unverstellten Spielfreude unweigerlich ein Publikumsliebling. Auch Miriam Lapini ist als entsetzliche Kratzbürste Irene besser denn je. Unter ihren ätzenden Kommentaren welken Blumen und verkümmern Kavaliere — weh dem armen Teufel, den sie schließlich erwählt. Aber Bernhard Stütz als notorisch schlecht gelaunter Saloonbesitzer mit bemerkenswerten Wutanfällen hat’s nicht besser verdient. Barbara Weller ist des Helden Mama, Günter Helle Papa der stimmgewaltigen Heldin; die beiden haben sich längst einen Namen gemacht; Freude macht Petra Stein als Tess; Nachwuchstalent Anja Nussbächer (Musical Kids!) gibt die extrem unterbelichtete Tanzmaus, dann sind da Moose und Mingo, Pete und Sam, Jimmy und Barkeeper Harry — also die Bofingers, Michael Bagin, Moritz Lang, Joachim Reißmüller und Sandro Stegmaier – die zunächst alles ganz, ganz langsam angehen lassen und deren einziges Vergnügen es ist, legendäre Duelle nachzuspielen. Bis sie sich zu heißblütigen Showstars entwickeln. Von Vera Braun lernten sie, wie sich dieser Bühnen-​Rhythmus anfühlt. Als „Custus“ ist Hartmut Weller einer unter anderen. Als Ms. Lotties Chauffeur hingegen macht er Eindruck. Nachhaltig.
Profi-​Ensembles können es sich in aller Regel nicht leisten, so viele Darsteller singen und tanzen zu lassen, und das ist ein Pfund, mit dem das Kolping-​Musiktheater heuer nach Kräften wuchert. Selten gab es so große Chorpräsenz auf der Bühne; die Showdamen sind ebenso Gmünder Eigengewächse wie Vera Brauns Tänzerinnen und Tänzer, und selbst die Mick Baumeister Big Band, die unter Tanja Goldsteins Leitung Gershwins wunderbare Musik meistert, ist bei aller Professionalität ebenfalls zu großen Teilen ein Gmünder Ensemble.
Kolpings jüngster Erfolg hat viele Väter und Mütter. Michael Schaumann, allen voran, der nicht nur die Hauptrolle übernommen hat, sondern, unterstützt von Thomas Sachsenmaier, Regie führt und für all die Lacher sorgt, aber eben auch für die so anrührenden Momente. Tanja Goldsteins musikalischer Leitung sowie allen, die singen und musizieren, ist die wundervolle Musik geschuldet. Vera Brauns und Miriam Lapinis Choreografien sorgen dafür, dass die Tänze dem nicht nachstehen. Ulrike Schwebel hat die Gesamtorganisation übernommen, Reiner Schmid Bühnenbild und Licht, Jolanda Pellegrino die Frisuren und Daniela Rosenauer die Maske. Ihnen allen ist „crazy for you“ zu verdanken, und sie alle hatten viele gute Gründe, nach der Show mit ihrem Publikum ein ebenso rauschendes Fest zu feiern (die RZ wird berichten).

Weitere Aufführungen gibt’s am heutigen Samstag, 6. Februar, 15 Uhr; Sonntag, 7. Februar, 19 Uhr; Freitag, 12. Februar, 20 Uhr; Samstag, 13. Februar, 15 Uhr und 20 Uhr; Sonntag, 14. Februar, 18 Uhr. Vorverkauf beim i-​Punkt, Marktplatz 37/​1, Telefon 0 71 71/​6 03 – 42 50. Noch gibt es Karten.