Hebelwirkungen — Lorchs Beitrag zum Literatursommer Baden-​Württemberg galt Johann Peter Hebel

Kultur

Rems-Zeitung

Der „Runde Kultur Tisch Lorch“ ehrte mit einem beeindruckenden Theaterabend des Stuttgarter „Dein Theater“ den Dichter Johann Peter Hebel. Es war Lorchs Beitrag zum Literatursommer Baden-​Württemberg.

Mittwoch, 24. März 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
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THEATER (jur). Der neue Saal des Waldrestaurants „Muckensee“ war bis auf den letzten Platz besetzt. Die Dramaturgen Katharina Reich und Hans Rasch boten das Programm „Hebelwirkung“ anlässlich des 250. Geburtstages des Dichters. Mit großer Wandlungsfähigkeit brachte der Schauspieler Stefan Österle Gedichte und Geschichten Hebels zu Gehör. Stefan Österle brachte es fertig, mit wenigen Kostümen, speziellen Kopfbedeckungen und witzigen Brillen in die Rolle eines Zeitgenossen der Geschichten und Gedichte zu schlüpfen und rezitierte in unterschiedlichen Dialekten und nahm so den Zuschauer mit ins Geschehen. Geschickt eingespielte Licht– und Toneffekte unterstrichen die Wirkung aufs Publikum. Dazwischen streute Stefan Österle Johann Peter Hebels Biografie, immer in Bezug zu seinen Schriften.
Hebel, der am 10. Mai 1760 in Basel geboren wurde, verlor früh seine Eltern und seine Schwester, die Mutter starb in seinen Armen. Das Erbe und unterstützende Freunde ermöglichten sein Theologiestudium. Er arbeitete als Vikar und Lehrer in Karlsruhe, war Gymnasialdirektor und 1819 Prälat der lutherischen Landeskirche und Mitglied der ersten Kammer des badischen Landtags. Er starb am 22. September 1826 in Schwetzingen.
Johann Peter Hebel, Prälat und Dichter, gleichermaßen Freund von Bosheit und Bravheit, von List und Offenheit, zeigt in seinen Abhandlungen, Gedichten und Erzählungen den europäischen Menschen als das, was er bis heute ist: freiheitlich, tolerant, ehrgeizig, liebend, ehrenhaft, mutig, dumm, listig, unentschieden, rachsüchtig, gerecht, heilend und giftig. 1860 veröffentlichte Hebel die Alemannischen Gedichte und überarbeitete dann den lutherisch badischen Landkalender, der Beschreibungen aus der Natur, Lebensumfeld des Menschen, Berichte, Sprichwortdeutungen und Ratschläge enthielt. Nach seiner Überarbeitung nannte er den Kalender den „Rheinischen Hausfreund“.
Mit einer zwischen Mundart und Hochdeutsch schwebenden Sprache in Abhandlungen und Gedichten und Erzählungen unterhielt Hebel sein Publikum, das sich leicht in seinen satirisch — humorvollen Betrachtungen wiederfindet.
Der Schauspieler Stefan Österle schilderte auch das geschichtliche und soziale Umfeld des Dichters in kurzen Umrissen. Gekonnt streute Stefan Österle satirische Bemerkungen zur heutigen Gesellschaft und Politik dazwischen.
Die Geschichte „Seltsamer Spazierritt“ kannten die Zuschauer seit Kindertagen. Wie Vater und Sohn beim Ritt auf ihrem Esel es allen Meinungen der anderen recht machen wollen und wie weit man damit kommt! Mit holländischem Akzent erzählte Österle „Der geheilte Patient“ in der Rolle eines Beobachters mit Mütze und Hosenträgern. Nachdenkliches brachte er beim „Unverhofften Wiedersehen“ mit dem tragischen Tod des Bergmanns vor seiner Hochzeit. Spannend und interessant rezitierte Stefan Österle die Geschichten voll menschlicher Schwächen und Eigenheiten in zwischenmenschlichen Beziehungen: „Das letzte Wort“ ( Ehe und Streit der Verleumderin und des Knickers), „Der Husar in Neiße“, „Der Barbierjunge von Segringen“ wo sich Österle mit Vollbart präsentierte, „Seltsame Ehescheidung“, „Glück und Unglück“, „Der Metzgerhund“, „Veronika Hakmann“. Alle kannten noch die Geschichte vom „Herr Kannitverstan“, wie man durch Irrtum zu Wahrheit und Erkenntnis gelangen kann.
Wieder ins Gedächtnis gerufen wurde auch die Geschichte der „Drei Wünsche“, in der ein Ehepaar von der Bergfee drei Wünsche frei bekommt und vor lauter Nachdenken unfreiwillige Erfüllung findet: eine Wurst an der Nase, die wieder weggewünscht werden muss. Fazit: alle Gelegenheit nützt nichts, wenn einer den Verstand nicht hat, sie zu nutzen.
Johann Peter Hebel, der durch seinen Beruf nahe Alltag war, sah den Menschen als mündigen Partner Gottes. Bildung war für ihn Interesse, Zuordnung und Orientierung, damit das Ganze ein Bild gibt: Bildung ist Qualität, nicht Quantität. Nach der Zeit der Aufklärung wollten die Menschen Zuneigung und Empfindung, deshalb lasen sie Hebels Schriften gerne. Es war zu Hebels Zeit eine Sensation, seine Empfindungen in Dialekt auszudrücken — da traf er den Nerv der Zeit.
Stefan Österle strahlte genau dieses aus. Er drückte mit seiner vielschichtigen sprachlichen Ausdrucksfähigkeit, seiner Mimik und Gestik das Empfinden der Figuren in Hebels Geschichten aus und transportierte so Hebels Werk in Herz und Hirn der Zuschauer, die durch „Dein Theater“ neuen Zugang zum Dichter fanden. Der Hebel tat seine Wirkung in Lorch.