Hans Liberg im Stadtgarten: der Meister der kabarettistischen Musikkomödie entstaubt die Klassik und poliert sie auf

Kultur

Rems-Zeitung

Hans Liberg – ob ich wohl wüsste, worauf ich mich da eingelassen hätte, so eine besorgte Frage eines Gmünder Philharmonikers. Verunsichert ob der nur fragmentarischen Ahnung, wurde schnell klar, dass der Klassik-​Rezensent in der Gmünder Kleinkunstreihe nicht im „falschen Film“ war. Von Peter Skobowsky

Freitag, 16. April 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
140 Sekunden Lesedauer

KLEINKUNST. Spätestens nach den ersten Takten der kabarettistischen Musikkomödie löste sich die Spannung, das heißt, sie hielt bis zur letzten Zugabe durch: ein Programm von zwei Stunden „netto“ – ein wahrer Kraftakt an Gedächtnis, geistiger und pianistischer Virtuosität, an Repertoirekenntnis und einem unerschöpflichen Humor: anmutig bis bissig. Das ist Hans Liberg, 1954 geborener Holländer, sprachliches Multitalent.
Selbst in Sprachen, die er wohl nicht beherrscht, addiert der Entertainer einfach Wörter und erweckt so den Eindruck unerschütterlicher Kompetenz.
Von Anfang an war das Publikum begeistert, lechzte förmlich nach jeder Pointe, die im voll besetzten Peter-​Parler-​Saal des „Stadtgartens“ gebührend Widerhall fand.
Das Ambiente sprach für sich: religiöse Assoziation mit überdimensionalem Parament. Ein „Altartuch“ mit dem Konterfei des Akteurs in chinesischem Dress maoistischer Ameisenvereinheitlichung. Da durften natürlich die roten Sterne (Europa assoziierend) nicht fehlen. Und das Gebiss: je eine Klaviertastatur für die Ober– und Unterzähne. Dazu allerlei Requisiten: herumliegende und aufgestellte Instrumente, bunte Bänder, natürlich auch Ajax Amsterdam – und ein Trio brillanter Streicher (im Programm leider nicht namentlich aufgeführt) – natürlich ebenso im altkommunistischen Mao-​Look: optische Persiflage hoch fünf!
Man müsste verrückt sein, die Details umfassend beschreiben zu wollen. Das zweistündige Feuerwerk, ein perpetuum mobile als komödiantisches Gesamtkunstwerk, würde schwächlich zerredet. Also bescheidet sich der Schreiber mit Eindrücken: Man arbeitete sich ab an den Ohrwürmern der Klassik, oft nur angedeutet, genial verändert oder verfremdet, kombiniert à la Lockenhaus (Gidon Kremer) – ein Quiz für das Publikum, das in verbalen oder melodiösen Zurufen „antwortet“. Musikalische Zitate werden Politikern zugeordnet, um deren Persönlichkeitsunterschiede zu belegen: mit – derselben Musik! Sarkozy wird assoziiert mit „Je t’aime“, die affektiven Laute gratis eingeschlossen.
Überhaupt sind die gestöhnten, gegrunzten oder anderweitig „gefärbten“ Kommentare zum Schreien. Da bleibt kein Auge trocken. Spontan und schlagfertig reagiert Liberg auf jedes Echo. Als er nach einem französischen Chanson fragt und ein Besucher beflissen „Frère Jacques“ zuruft, kontert der Frager, ob wohl hier jeder reingelassen worden sei.
André Rieu bekam genauso sein Fett ab wie Karlheinz Stockhausen, der Erste aus Neidgründen, der Zweite, der – Donaueschingen lässt original grüßen – im Übrigen genauso bravourös „verifiziert“ wurde wie chinesische Skalen (nur auf schwarzen Flügeltasten gespielt). Beispiele gab es zuhauf (Nationalhymne.
Bei Vittorio Montis „Csardas“ oder Rudolfo Luigi Boccherinis Violoncello-​Konzert warteten die Streicher virtuosest auf, natürlich „variiert“, indem Jurij z. B. seinen Geigenbogen arretierte und seine Geige daran artistisch auf und ab jagte – atemberaubend! Die arme Sängerin, welche Gioachino o Rossinis Rosina vokale Koloraturen lieh – der Herr Begleiter ließ sie förmlich „verhungern“, um dann scheinheilig das Publikum zu fragen, ob sie noch nicht fertig sei. So ging das Schlag auf Schlag. Der geneigte Leser, der live dabei war, möge verzeihen, dass sein Favorit nicht herausgehoben wurde. Das Ganze im Fragment bleibt die Anforderung an die Quadratur des Kreises.
Jedenfalls war der Beleg hinreißend, wie die langweilige und langatmige Klassik ständig „klaut“, in Handy-​Klingeltönen oder originellen Autohupen ihr Pendant findet – also doch kurzweilig ist und das menschliche Gemüt samt Bedürfnislage bereichert.
Summa cum laude – la musica! Und summa cum laude den Interpreten für einen wunderbaren Abend.