„Gmünder Talente“: Die Geigerin Isabelle Farr glänzte in ihrem Konzert mit einer kaum überbietbaren Ausführung

Kultur

Rems-Zeitung

In der Reihe „Gmünder Talente“ präsentierte das Kulturbüro der Stadt am Mittwochabend ein Konzert der Sonderklasse. Die Hauptperson des Abends war Isabelle Farr, die ihre am 20. Mai anstehende Abschlussprüfung an der Stuttgarter Musikhochschule keineswegs simulierte mit einem einstündigen Programm. Von Peter Skobowsky

Sonntag, 16. Mai 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
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KONZERT. In Auswahl, Interpretation und Mitwirkung der anderen drei Künstler überzeugte das Konzert im Prediger bestechend. Wenn das im Examen kein „summa cum laude“ gibt, verstünde man die Welt nicht mehr. Der Tübinger Stiftskantor und frühere Chef der Kirchenmusikhochschule, Ingo Bredenbach, hatte vor Jahren in Nagold zu Recht erklärt: So gut wie vor der Prüfung sei man nie mehr.
Es ist geradezu beängstigend, was bereits zur Aufnahmeprüfung verlangt wird. Umso mehr wird man dann beim Prüfungsspiel inne, welche künstlerische und menschliche Kompetenz da gewachsen sind. Und so stellte sich die Geigerin überaus sympathisch vor: zum einen im vielseitigen Programm samt Instrumenten, zum andern in der kaum überbietbaren Ausführung. Nichts perfekt-​steril, sondern durchpulst von musikantischem Leuchten. Da wird die Schönheit der Kunst als Hauch der Ewigkeit spürbar, zumal keine eitle Attitüde stört, sondern alles von gewinnendem Charme ist — Ausdruck eines echten Humanum!
Der Reigen der Vorträge begann mit „La Sonnerie de Ste. Geneviève du Mont de Paris“ von Marin Marais. Die Glockenassoziation entstand über einem eintaktigen Continuo-​Ostinato in ABA-​Form (Moll-​Dur-​Moll), über dem sich eine Fülle von Variationen ereignete. Neben den zarten, zumeist vibratolosen Linien der Geige brillierte der feinsinnige Viktor Töpelmann kontrapunktisch auf seiner Gambe: selbstbewusst, spritzig, temperamentvoll, knisternd, und Andreas Gräsle bot auf dem Cembalo von Augustinus einen farbig kolorierten Generalbass. Was man so alles über einem einzigen Takt inszenieren kann!
Von Ernest Bloch folgte „Nigun“ für Violine und Klavier. Hatte man Isabelle Farr beim barocken Introitus in dezent pointierten Kantilenen erlebt, so kam jetzt der hundertprozentige Kontrast: pfeffrig, voluminös, sonor mit viel Vibrato — ein Wechsel zur Vollblutromantik, Sinnlichkeit pur. Nigun ist „eine Melodie aus kabbalistischer, chassidischer Tradition, in der Regel ohne Worte. Wird als Weg zu höherem Bewusstsein und Veränderung des Selbst betrachtet“, so die lexikalische Klärung. Und man spürte die Klezmer-​Verwandtschaft in Rhythmus und Klang. Zu dem durchaus eigenwilligen Violinduktus gesellte sich in Nadine Schubes Klavierbegleitung ein typischer Dialog. Bei geöffnetem Flügeldeckel gab es ein elektrisierendes Miteinander. Selten erlebte man eine derart souveräne Pianistin. Ihre Augen waren permanent auf die Noten gerichtet, die Tasten wie im Schlaf beherrscht.
Dann folgte „Ferdinand, der Stier“ von Alan Ridout. Prokofjews „Peter und der Wolf“ ließ grüßen, nur, dass die Illustration der von der Geigerin liebevoll rezitierten Geschichte nach Munro Leaf durch Violine solo erfolgte: eine zauberhafte Poesie, durchbrochen vom Temperament jener Stierverwandten, die nur allzu gern zum Kampf nach Madrid wollten, derweil Ferdinand unter seiner geliebten Korkenziehereiche an den duftenden Blumen schnupperte. Doch, als Ferdinand sich hinlegen wollte und von einer Biene in seinen Allerwertesten gestochen wurde, entfaltete er ein überschäumendes Temperament, weshalb er vom Matador auserkoren wurde — für Madrid! Doch dort wurde dem Kämpfer die Show gestohlen: Das ganze Getöse scherte unseren sanften Ferdinand mitnichten. Er schnupperte im Liegen … Wütend beförderte ihn der Genasführte nach Hause, und was Ferdinand dort (wieder) pflegte, bedarf keiner Worte.
Ridout und seiner kongenialen Interpretin gelang ein zauberhaftes Märchen, das in seinen Facetten allen emotionalen Regungen Genüge tat. Da waren nicht nur Kinderherzen happy!
Schließlich gab es ein furioses Finale. Camille Saint-​Saëns hinterließ uns Heutigen eine Fülle höchst bemerkenswerter Kompositionen unterschiedlichster Genres. Seine 1. Sonate d-​Moll op. 75 für Violine und Klavier ist ein einziges Kabinettstückchen mit mehrfachem Perpetuum-​mobile-​Charakter. Da wetteifern, eingebettet in eine ausladende Ideenfülle, die beiden Instrumente: parallel, nacheinander oder gegensätzlich in rasantesten Tempi, dass man schier die Luft anhält. Und siehe da, den zwei Damen scheint das Ganze keinerlei Mühe zu bereiten. Da perlen die Kaskaden nur so in einem berückenden Scherzando, mit allen Kunstgriffen der Geige (Springbogen, Tremolandi …) und des Klaviers (mehrfache Oktaven, linearer oder akkordlicher Bravour …). Brillanter geht es nicht mehr, und so gab es zu Recht auch keine Zugabe. Die Begeisterung war grenzenlos. Solche Abende müsste es noch viel häufiger geben. Für den Moment gelten Isabelle Farr nur die allerbesten Wünsche zu einer Prüfung, die ihr Engagement angemessen belohnt.