Weiss — Ice/​White: Zehn Jahre Kunst im Schloss Untergröningen werden mit einer tatsächlich coolen Schau begangen

Kultur

Rems-Zeitung

So sieht ein Kontrastprogramm aus: Nach den tropisch anmutenden Bildern und Objekten der „blühenden Phantasie“ des vergangenen Jahres nun Eis & Weiß, wohin das Auge blickt. So feiert der Kunstverein Kiss zehn Jahre Kunst im Schloss Untergröningen. Von Reinhard Wagenblast

Sonntag, 09. Mai 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
131 Sekunden Lesedauer

AUSSTELLUNG. Von wegen ewiges Eis in der Arktis und Antarktis. In „Above Zero /​Über Null“, einer Fotoserie des Münchener Künstlers Olaf Otto Becker, sieht man, was in Grönland geschieht. Er dokumentierte Schmelzzonen des Inlandeises, des größten Gletschers der Welt. Temperaturen weit über dem Gefrierpunkt lassen das Eis schmelzen, so dass sich Flüsse und große Seen auf dem Eis bilden. Messstationen müssen tiefer verankert werden, sie stehen nicht mehr fest. „Es geht etwas schief mit der Natur, mit der Welt“, sagt Olaf Becker. Seine Landschaftsporträts sind Zeugnisse einer schwindenden Landschaft.
Die blanke weiße Fläche ist das Sinnbild des Horror vacui. Den Schriftsteller mit Schreibblockade kann ein weißes Blatt Papier in den Wahnsinn treiben. Weiß, das blanke Nichts, steht für den Tod. Es ist aber auch Zero, der Punkt des Anfangs und der Offenheit.
Nach der „Vivid Phantasy“, den überbordend floralen Formen, den dschungelhaft glühenden Farben der Sommer-​Ausstellung 2009 empfand Kiss-​Kurator Otto Rothfuss die leeren weißen Räume im Schloss Untergröningen wohl besonders stark. Weiß und Eis, das geht selbst im Schriftbild der Versalbuchstaben in eins. Wieder einmal folgte er seinem Thema: „Die Kunst folgt auf den Spuren der Wissenschaft.“ Sie befasst sich mit den Phänomen auf ihre Art, sie trachtet nach dem, was den Messgeräten entgeht. Acht Künstler, die aus der Kälte kommen, stellen ihre Arbeiten im Schloss Untergröningen aus: Ihre Video– und Fotoarbeiten befassen sich mit den einzigartigen, weil alle gewohnten Maßstäbe aufhebenden Erscheinungen und Formen der Landschaften in Arktis und Antarktis. Ihr Kunstschaffen reagiert aber nicht nur auf die Exotik dieser Gebiete, sondern auch auf den globalen Klimawandel. Diese „Kaltfront“ kontrapunktieren sechzehn weitere Künstlerinnen und Künstler mit individuellen Medien und Aussagen und erweitern so das Spektrum dieser Ausstellung, ob mit Gemälden, Skulpturen, Papierarbeiten oder Installationen, die allesamt die Farbe Weiß umkreisen.
Wieder einmal versammelt Otto Rothfuss die Werke von regionalen und internationalen Künstlern in einer exquisiten Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Jeff Koons ist mit einer kleinen, überraschend unpompösen Lithografie vertreten: „Fun“, die farbigen Umrisse dreier Affen-​Gesichter auf weißem Hintegrund. „Meine Arbeit ist weder ironisch noch kitschig“, kommentiert der Künstler, „sondern sie ist optimistisch, damit sich die Menschen besser fühlen. Das Affengesicht da fungiert für den Betrachter als Spiegel seiner eigenen Unsterblichkeit. Es steht dafür, dass dich deine eigenen Kinder ersetzen werden. Darum: liebe sie.“ Doch diese Schau ist zu vielgestaltig, um sie auf solche Betrachtungen zu beschränken. Einer besonders brachialen Form der Ironie befleißigt sich Elodie Pong aus Zürich in ihrem Video: Ihr „Plan for Victory“ geht in einer grausigen, optisch und akustisch überwältigenden Eis– und Felslawine unter. Nebenan zaubert Ruth Handschin in blauem Licht stille Storchschnabel-​Eisblumen an Wände und Decke eines Zimmers. So kehrt sie wieder, die blühende Phantasie.
Zur Vernissage am Sonntag, 9. Mai, 16 Uhr im Schloss Untergröningen (siehe Ankündigung in der RZ vom Donnerstag) spielt der Audio-​Künstler Otto Kränzler auf einem Klangobjekt namens „Kryophone“. Könnte sein, dass es den Zuhörern dabei eiskalt den Rücken hinabläuft.