Festival Europäische Kirchenmusik: Kinder-​Musical „Ich will das Morgenrot wecken“ in der Augustinuskirche

Kultur

Rems-Zeitung

Wer meint, das jährliche Kindermusical sei nur eine verzichtbare Konzession an das Besucherspektrum der Europäischen Kirchenmusik, der irrt. Das gilt allgemein und in diesem Jahr mit dem Motto „Jung und Alt“ ganz besonders.

Mittwoch, 21. Juli 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
140 Sekunden Lesedauer

KONZERT (-ry). Und so war es nur folgerichtig, dass Sonntraud-​Alice Engels-​Benz den Ball auffing, mit ihrem Cappella-​Kinderchor der Augustinuskirche in Vorlage zu gehen. Wieder mit dabei war der Unterstufenchor des Heubacher Rosenstein-​Gymnasiums, von ihrem Mann Thomas geleitet. Das Instrumentarium: Wilhelm Ehrlich (Klarinette), Wiebke Weiss (Querflöte), Johannes Benz (Trompete) und Thomas Benz (Keyboard, Klavier und Orgel). Licht und Ton besorgte Mixtown, wie gewohnt zuverlässig und flexibel. Das Heer der Mitwirkenden hätte es verdient, im Einzelnen benannt zu werden, eingeschlossen die vielen fleißigen Hände für Kostüme, Bühnenbild(er), Requisiten sowie die Hintergrund-​Inspizientinnen usw. — ein grandioses Gemeinschaftswerk!
Große Palmen (gebastelt u. a. von Klaus Stemmler) mit Stanniolblättern, orangefarben beleuchtet, empfingen das Publikum: lauter erwartungsvolle Gäste aller Altersstufen. Werbeplakate für syrische, assyrische transsibirische (!) Aprikosen, Datteln, Feigen und Äpfel — vergebliches Anpreisen, da die Zeiten schlecht sind: Der dem Wahnsinn immer wieder verfallene König Saul mit unfähigen Ministern; Krieg, hohe Steuern, kein Geld — wer soll da noch zudem verdorbene Ware kaufen? Und so hebt das Drama mit berechtigt gewollten Parallelen zur Gegenwart an. Sauls Sohn Jonathan will die Entscheidung: den Zweikampf gegen den Angeber Goliath gewinnen. Vater Saul hat Angst um den Erben.
Das alles wird eindrücklich gespielt und gesungen und deklamiert. Da sind kleine Könner am Werk, überzeugende Künstler, die in kindlicher Offenheit ihre Botschaft gestalten. Allein das rührt an. Hinzu kommt ein wunderbarer Gesang: herrlich geführte Kinderstimmen, die selbst im Forte unaufdringlich schön intonieren, ohne Forcieren. Jede Gestalt gewinnt originäre Farbe. Und das ganz selbstverständliche Miteinander von Chor und vorzüglichem Instrumentarium bezaubert einfach. Die strahlende Dirigentin steckt entsprechend ihre jungen Akteure an, die mit Selbstbewusstsein ihren Part gestalten.
Und dann wird die Szene erweitert: Von der Empore her vernimmt Saul den glockenreinen Gesang Davids: „Ich will das Morgenrot wecken …“. Der König lebt auf. Hatte er nicht verboten zu singen? Nach der durchgesetzten Gewalt der Bediensteten gegen das Volk wird nun David gesucht, der auf dem Kanzelgang mit seinem Schaf Zuflucht gefunden hatte.
Per Volksempfänger hört man die Reportage des Zweikampfes. Durch die List des kleinen David mittels der Schleuder wird der plumpe Angeber Goliath getötet, das Volk jubelt. Hübsch die heimlich augenzwinkernde Korrespondenz z. B. einer Schauspielerin mit ihrem Vater, als sie Mittelgang passiert. Wie schön, dass Kinder bei all dem ernsthaften Eifer um ihre Aufgabe Kinder bleiben, strahlend, mitleidend, kämpfend. Da ist z. B. Eliab, der älteste Sohn Isais. Er kommt mit einem Leiterwagen daher, in einem Korb zu spaltendes Holz und eine Trinkflasche. Zum Tod Sauls und Jonathans erklingt eine bewegende Klage Davids: „Jonathan, mein Jonathan, weh ist mir um meinen Jonathan …“.
Dann der Einzug des strahlenden David und seiner Insignien-​Träger. Das Ganze gerät zum jubelnden Fest. Beglückende Originalität der vielen Mitwirkenden, eine packend-​illustrierende Musik (Klaus Wallrath, Jürgen Kursawa, Christoph Seeger und Rudolf von Gersum — keine den Brei verderbende Kochkonkurrenz!), die allen Emotionen gerecht wird. Alles ist zwingend musiziert, im Solo oder Ensemble, mit wunderbar organischer Agogik. Biblische Botschaft, auf andere Weise nachdrücklich und nachhaltig „gepredigt“.Rauschender Beifall, sogleich mit Zugabe-​Rufen untermauert, Rosen für die Hauptdarsteller und die Dirigentin. Nur der Holzhacker schaut mürrisch drein. Wollte er noch immer König werden?
Das SWR-​Fernsehen wird am 24. Juli Ausschnitte senden. Das hat die Aufführung mehr als verdient.