Im Prediger: Das Stuttgarter Theater Arkanum führt die geschlossene Gesellschaft vor

Kultur

Rems-Zeitung

Das Publikum zu ergreifen ist wohl der Wunsch jeden Autors, es zu fesseln der eines jeden Ensembles. Das Theater Arkanum setzt das Publikum mitten ins Stück, hält ihm den Spiegel im wahrsten Sinne vor und schafft so ein ganz neues Erlebnis für Sartres „Geschlossene Gesellschaft“.

Donnerstag, 08. Juli 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
132 Sekunden Lesedauer

THEATER (wil). Denn die Hölle ist kein Ort, die Hölle ist ein Zustand der einen ergreift, aus dem es kein Entkommen gibt. Nur eine erlesene Gruppe von vierzig Personen darf die Aufführung des Theaters Arkanum erleben, dennoch benötigen die fünf wackeren Akteure den großen Saal des Prediger als Spielfläche.
Die Stühle stehen dem Ausgang zugewandt, mit der Lehne zum Aktionsraum der Untoten und das Publikum wendet ihnen zwangsläufig den Rücken zu. Wie auf einer derzeit aktuellen Großbildleinwand verfolgen sie das Geschehen in drei Spiegeln, lassen die „Realität“ des Stückes hinter sich, sind neugierige Gaffer – und dennoch mittendrin.
Die Symbolik dieses Bühnenbilds ist das eigentliche Erlebnis bei der Aufführung, das Widerspiegeln eines fernen Geschehens ist allgegenwärtig, schafft eine bedrückende Nähe zu diesem surrealen Stück. Stringent durchgehalten in der Kleidung, den Stühlen und der Raumfarbe sind auch die drei Farben schwarz, weiß und rot – Symbole für Schuld und Trauer, Unschuld sowie Blut und Feuer.
Doch es beginnt ganz harmlos. Regisseur Benjamin Koller steht auf der Leiter und putzt die Spiegel, verwickelt das Publikum in eine belanglose Plauderei, erzählt von seinem Vater und seiner Familie. Heiterer Alltag eben während man auf etwas Spannendes wartet, und aus dem man mit dem Stück jäh herausgerissen wird.
Garcin, Ines und Estelle betreten durch die obligaten drei Türen den kahlen Raum, verharren im Stillstand, der ihren Übergang in die andere Welt verdeutlicht. Hier offenbart sich nun der kleine Nachteil des großen Regieeinfalls: weil die Schauspieler in den Rücken des Publikums sprechen leidet ihre Verständlichkeit. Besonders Velemir Pankratov, der junge Mann aus Moskau, der den Garcin spielt, bereitet große Probleme.
Doch die Handlung darf als bekannt vorausgesetzt werden, die Untoten machen sich miteinander bekannt. Allmählich baut sich das Grauen auf, „die Augen vor dem Getanen nicht verschließen zu können, welche Qual.“ Nach und nach zerbröckeln die Lügen über die Todesumstände, offenbaren sich die Abgründe menschlicher Niedertracht: „Man hat ein Gewissen nach seinem Niveau!“ Fast schon grotesk in dieser Inszenierung wirkt Estelles (Ulrike Stegmiller) Verlangen nach einem Spiegel, wird die Symbolik hier doch fast zu dick aufgetragen. Unverhüllt auch die sexuellen Wünsche, Garcins ungestüme Vergewaltigung oder später dann Estelles Begehren, wenn sie ihren fast nackten Po anbietet. Es sind die animalischen Instinkte, welche die Menschen zu ihren Handlungen verleiteten, von der Untreue bis zum Kindsmord, für die es nun zu büßen gilt. Wenn auch Ines (Viktoria Zavartkayova) immer wieder laut und hysterisch lacht, „die Tat spricht lauter als der Mund“. Schließlich ist die Hölle kein Ort, sondern ein Zustand, dem man sich nicht entziehen kann, auch wenn die Türen offen stehen. „Selig sind die, die vergessen – sie werden auch mit ihrer Dummheit fertig.“
Nicht vergessen sollte man die noch stattfindenden Veranstaltungen des Theaters Arkanum, so am heutigen Donnerstag und morgigen je um 20 Uhr im Prediger, denn wenn auch das „Bühnenbild“ verraten wurde, den Eindruck muss man selbst gewinnen.