Ein schaurig-​schönes Horror-​Musical um das Gute und das Böse: „Jekyll und Hyde“ im Stadtgarten

Kultur

Rems-Zeitung

Man nehme etwas Jack the Ripper, eine Prise Frankenstein und dunkle Mythen, eine Messerspitze „Phantom der Oper“ und die Urangst vor dem Bösen, mische es kräftig und fertig ist der Stoff für ein schaurig schönes Horror-​Musical.

Dienstag, 11. Januar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
135 Sekunden Lesedauer

MUSICAL (cl). Am Freitag konnten zahlreiche Besucher im Stadtgarten diesen Grat der Verwandlung zwischen Gut und Böse verfolgen. Mit „Jekyll und Hyde“ zeigte das Stadttheater Fürth in Koproduktion mit dem Euro-​Studio Landgraf und mit Musikern des Bolschoi-​, Opern– und Balletttheaters Minsk, wie faszinierend das Musikgenre Horror-​Pop sein kann.
Das Stück geht zurück auf eine Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Novelle des Schotten Robert Louis Stevenson, die vom „Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ handelt. Der Schriftsteller erzählt den seltsamen Fall des jungen Mediziners Dr. Henry Jekyll und leitet das unheimliche Geschehen der Persönlichkeitsspaltung durch Drogen aus dem schon früh im Charakter des Dr. Jekyll angelegten Zwiespalt zwischen bürgerlicher Wohlanständigkeit und dem Interesse an weltlichen Genüssen ab.
Verbissen forscht Dr. Jekyll nach einem Mittel, um das Böse vom Guten zu trennen, es fassen und besiegen zu können und riskiert schließlich einen folgenschweren Selbstversuch. Denn Edward Hyde, der sich als Jekylls böses Alter Ego abspaltet, legt ein unkontrollierbares Eigenleben an den Tag. In der Unterwelt Londons gibt er sich alldem hin, was sich jedem braven Bürger verbietet, lebt unverhohlen seine Fantasien und Triebe in gewalttätigen Exzessen aus. In Gestalt seines Doppelgängers erfährt der tugendhafte Jekyll, zu welchen Verbrechen der Mensch imstande ist, wenn kein Gewissen ihn quält. Immer weniger in der Lage, seine dunkle Seite zu zügeln, droht er auch seine Verlobte Lisa und das Straßenmädchen Lucy ins Verderben zu reißen.
Die Gmünder Zuschauer wurden peu à peu mitgenommen in die ewig rätselhafte Geschichte von Gut gegen Böse. Das Fürther Ensemble konnte die Spannung durchgehend halten und überraschte mit einem Perfektionismus, den man selten erlebt. Angefangen vom Bühnenbild, einem rostigen Gerüst, das sich mit jeder Szene in rasanter Geschwindigkeit veränderte. Erst Nervenheilanstalt, wurde es zu einem Laboratorium, zum Nuttentreff, zum Ballsaal der feinen Gesellschaft. Fesselspiele, Mord und Verlobungsfeier gingen Hand in Hand.
Die Solisten begeisterten mit Professionalität. Yngve Gasoy-​Romdal als Dr.Jekyll/Edward Hyde gab einen stimmlich präsenten und schauspielerisch glaubwürdigen Titelhelden, der seine zuletzt ständig wechselnde Doppelrolle beklemmend authentisch und faszinierend spielte. Glaubhaft war er als Dr. Jekyll, der gegenüber der übermächtigen Klinikkommission, die seine Experimente ablehnte, selbstsicher auftrat, dann aber nach den wiederholten Verwandlungen in sein Alter Ego immer niedergeschlagener und verängstigter wirkte. Eine kleine Verwandlung — nur durch Zerzausen der Haare und Veränderung der Haltung – schlich er dann als irrer Rächer Edward Hyde über die Bühne, der einen Mord nach dem anderen beging, und zwischendurch nach der Prostituierten Lucy gierte. Und er sang mit einer Stimme, die mehr als bühnenreif war.
Aber auch die beiden weiblichen Hauptrollen, die Prostituierte Lucy, gespielt von Sabrina Weckerlein und Jekylls Verlobte Lisa, gespielt von Leah Delos Santos, überzeugten stimmlich – sie sangen in allen Lagen lyrisch und samtig, strahlend und mit langem Atem.
Die Tanzeinlagen, sowohl solistisch als auch im Ensemble, waren wirkungsvoll choreografiert und stimmig. Viktorianische Kostüme und ein schaurig-​schönes Bühnenbild rundeten den gelungenen Abend ab und machten das sehenswerte „Grusical“ zu einem unvergesslichen Augen– und Ohrenschmaus. Standing Ovations für die großartige Leistung des Stadttheaters Fürth und für die Musiker des Bolschoi Opern– und Balletttheaters Minsk.