Temperament, Melancholie und Lebensfreude: Giora Feidman und das Gershwin Streichquartett im Gmünder Stadtgarten

Kultur

Rems-Zeitung

Ein großer Künstler, wie man ihn selten erlebt, ein wahrer Zaubermeister auf der Klarinette. Giora Feidmans Auftritte sind legendär.Von Christine Lakner

Donnerstag, 13. Januar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
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KONZERT. Bei seinem Konzert am Dienstagabend im Schwäbisch Gmünder Stadtgarten verband der Könner an der Klarinette geschickt Klezmer und Swing mit klassischem Spiel, drehte im Tango auf und würzte alles gekonnt mit Techniken wie Flatterzunge und Ansatzvibrato.
Zu beginn jedoch ließ er erst mal seine Musiker des Gershwin-​Streichquartett zu Ton kommen. Zuerst Stille, dann betreten die vier Musiker mit Michel Gershwin (Violine), Natalia Raithel (Violine), Juri Gilbo (Bratsche) und Kirill Kratsov (Cello) die Bühne und eröffneten den Abend mit Sergej Abairs „Prelude for Concert“. Dann wieder Stille – und wie aus dem Nichts vernahmen die Zuschauer den leisen Klang einer Klarinette. Allerdings nicht aus Richtung der Bühne. Durch den Saal in Richtung Bühne schritt der Meister mit seinem Instrument und der Kunst die Stille in Töne zu verwandeln.
Auf der Bühne dann legte er mit seinem Quartett dann richtig los. Traditionelle und folkloristische Weisen wie „Shalom Chaverim“ oder „Hava Naghila“ in Kompositionen von Ora Bat Chaim, Avraham Idelsohn und Feidmans Eigenkomposition erklangen im ersten Teil des Abends. Dabei gelang es dem sensiblen Musiker Giora Feidman, die Töne hinter den Tönen, die Stimmung hinter dem Lied hörbar zu machen.
Das inniges Verhältnis aller Musiker zur Musik war durchgehend spürbar. Selbst als es südamerikanisch schwungvoll wurde. Einen gewissen Höhepunkt schufen dabei die „Drei Danzas argentinas“ von Alberto Ginastera in hochvirtuosem und äußerst vitalem Vortrag. Man musste wohl kein argentinisches Blut in den Adern haben, um die feinen Tonverschiebungen, harmonischen Verfremdungen, blutvollen Rhythmen und subtilen Klangeffekte nachspüren zu können, wie sie im Spiel des Giora Feidmans und seines Gershwin-​Quartetts die Zuhörer faszinierten.
Dann trat der Meister der Klarinette listig grinsend ans Mikrofon und brachte einen normalen Konzertablauf durcheinander. „Nirgends, nicht im Alten Testament, nicht im Neuen Testament und auch nicht im Koran steht geschrieben, dass eine Zugabe immer am Schluss eines Konzerts kommen muss“ sprach’s und schob vor der Pause noch ein Stück ein, eine elegante, ruhige Collage der Nationalhymnen Deutschlands, Israels und Palästinas, die er in Eigenkomposition zusammengesetzt hatte.
Und Giora Feidmans Liebe zur Musik wird auch nach dem melancholischen Ende des ersten Teils deutlich, ihm geht es weniger um den persönlichen Erfolg, mehr um die Leidenschaft zur Musik. Das zeigt sich darin, dass er das Quartett immer wieder alleine spielen lässt, sich einen Stuhl nimmt und einfach nur zuhört. So ließ der berühmte Klarinettist die beiden Geiger mit einem virtuoses Duett den zweiten Teil des Abend einläuten: ein Gershwin-​Medley, von „Rhapsody in Blue“ über „Swanee“ bis „Our love is here to stay“, dicht arrangiert und elegant swingend.
„Eine der wichtigsten Sachen auf dieser Welt“, ergänzt Feidman – und die Zuhörer erwarteten sogleich ein emphatisches Plädoyer für den Frieden oder auch die Liebe –, „ist das Essen. Und das Trinken.“ Das Ensemble stimmte darauf „Jewish Wedding“ von Boris Pigovat an, ein Stück, bei dem es Feidmans Meinung nach egal ist, was gerade gespielt werde: „Spielt keine Rolle, Musik ist Musik“
Mit Georges Enescus „Romanian Rhapsody No.1“ schafften Giora Feidman und das Gershwin-​Quartett gekonnt den Spagat zwischen klassischer Komposition und begeisternd großer Vitalität. Die Musiker schwelgten förmlich in Schönheit. Die Instrumente lieferten sich rasante Verfolgungsjagden, blieben dabei aber immer fein und transparent. Dazwischen entlockten die Musiker auch ganz leise Töne ihren Instrumenten, kaum hörbar aber ungemein farbig und präzise. So fein, dass manchem Zuhörer fast der Atem stockte.
Dass es Zugaben geben musste, war keine Frage. Diese bestritten die Musiker mit Hilfe des Publikums. Die Melodie, die Feidman vorgab, wurde lautstark vom Publikum mitgesungen und zig Mal wiederholt.
Die Besucher dankten den hervorragenden Musikern mit stehende Ovationen für einen besonderen Abend, an dem verschiedene Länder, Traditionen und Kulturen auf einer klanglichen Reise an den Konzertbesuchern vorbei zogen: temperamentvoller Tango, Melancholie und Lebensfreude der osteuropäischen Klezmer-​Musik, gekonnt unterlegt mit Anleihen aus Klassik und Jazz.