Salzburger Operettentheater führte „Der Bettelstudent“ auf

Kultur

Rems-Zeitung

Genau vor einem Jahr gastierte das Salzburger Operettentheater mit Emmerich Kálmáns „Die Csárdásfürstin“ – eine glänzende Aufführung. Jetzt stand eine weitere Erfolgsoperette auf dem Programm: Karl Millöckers „Der Bettelstudent“.

Freitag, 14. Januar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
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OPER (ry). Nach der letztjährigen Erfahrung schien das Haus noch voller zu sein. Kein Wunder, wenn Vollblut das summarische Zauberwort für Story, Musik, Inszenierung, Sängerschar und Orchester ist: zu Recht! Die Salzburger scheinen eine Marktlücke entdeckt zu haben, indem sie einen Ohren– und Augenschmaus bereiten, Freude pur. Erstaunlich und für Millöcker wie geschenkt, dass Johann Strauß die Komposition durch dessen Trick abgelehnt hatte: „Eine Nacht in Venedig“ sei das eindeutig bessere Libretto von Friedrich Zell und Richard Genée. So „landete“ Millöcker seinen Welterfolg mit einer Fülle von Ohrwürmern, nach denen auch im Stadtgarten das Publikum förmlich lechzte und gar nicht abwarten konnte, mit kräftigem Zwischenapplaus in die Nachspieltakte hinein zu klatschen.
In der Aufführung stimmte (fast) alles: eine überaus motivierte Schar von Sängern, Schauspielern aller Altersstufen, wiederum drei Mitglieder des Ballettensembles „Illo Tempore“ aus Dortmund mit zwei hübschen Tanzeinlagen, die letzte sogleich von den übrigen Akteuren mehr oder weniger galant nachexerziert.
Inszenierung, üppige Ausstattung, (konkretes oder stilisiert gekonntes) Bühnenbild, Beleuchtung nach allen Regeln ihrer Kunst, bis zum gewaltig illuminierten Kanonendonner. Dazu ein souveränes Orchester mit der auch heuer tollen Katalin Doman als sensibler Dirigentin. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn das Orchester nicht eigens „auffällt“. Mit Gespür für die Feinheiten begleitete man im Orchestergraben. Millöcker holte aus dem Libretto von Camillo Walzel und Richard Genée (nach der literarischen Vorlage „Les Noces de Fernande“ („Fernandos Hochzeit“) von Victorien Sardou das Letzte heraus, um es in mitreißende Musik zu „gießen“: die Typen der Gesellschaft mit ihren Macken und Eitelkeiten, die politischen Machtgelüste, Ränkespiel, die Pointierung der Etikette („Kleider machen Leute“), Dummheit und Witz, gepaart mit der Anmut liebreizender Damen. Schließlich die Auflösung aller Verwicklungen und wie sich alle in ihr Schicksal fügen. Da müssen ja Musik und Szene vibrieren!
Ein Graf Ollendorf
wie aus dem Bilderbuch
Die Solisten waren spielerisch allesamt exzellent, was man stimmlich nicht immer sagen konnte.
Shauna Elkin-​Held als Gräfin mit prächtig präsentem Alt, ihre Töchter Laura (Claudia Guarin) und Bronislava (Victoria Car) mit je charakteristisch wohlklingendem Sopran (die extreme Höhe eher aus psychologischen Gründen ungenau forciert), Thomas Markus als Symon (Bettelstudent Nr. 1), der demonstrativ kraftstrotzend die Höhe erzwang, zum Glück ohne einzubrechen, dafür zuweilen derart gewalttätig und folgerichtig kurzatmig, was sein Organ auf Dauer nicht unbeschadet tolerieren wird. Dabei klingt sein Tenor schön: Weniger wäre mehr gewesen.
Sein Kollege Jan (Bettelstudent Nr. 2) war da klüger: Als lyrischer Tenorbuffo ließ er seine Linien einfach strömen, immer angenehm.
Ivaylo Guberov war so ganz nach dem Geschmack des erwartungsvollen Publikums. Das war ein Graf Ollendorf wie aus dem Bilderbuch: in allen Belangen gewandt, bei aller Selbstüberschätzung, resp. Dummheit, mit Humor. Seine Philosophie („Schwamm drüber“ oder die Einsicht, „da hat er Recht“) ging stets auf. Stimmlich immer souveräner, schauspielerisch glänzend war er die eigentlich heimliche Hauptfigur, deren Gefühlslage man gern mitvollzog.
Die Nebenrollen (die gar nicht so daherkamen) waren gleichfalls gekonnt besetzt, meist durch die Überfülle an Ideen hervorgehoben. Da saß jeder Gag, vor allem die zwei Strophen des Ollendorf im letzten Akt, in denen er scheinbar abtrat, um sofort wiederzukommen und aktuell eins draufzusetzen: So kamen sogar Stuttgart 21 und ein „Lob des Schwäbischen“ dran. Das war ein Geniestreich – nicht verfremdend narzisstisch. So macht Theater einfach Spaß: wenn z. B. die Gefängniswärter eine heimlich konfiszierte Flasche Wein in eines der stilisierten Kanonenrohre verstecken, wenn die Gräfin mit ihren Töchtern vor der Morgentoilette in Unterwäsche agiert oder jener Gesinnungswandel blitzschnell eintritt, weil der vermeintliche Nichtadlige nun doch ein echter ist und deshalb als Schwiegersohn willkommen …
Drei Stunden spannend gewürzter Unterhaltung – der Beifall als Gradmesser: die Salzburger dürfen wiederkommen.