Von Barock bis in die Gegenwart, Seriöses und Augenzwinkerndes: Daniel Gloger und Peter von Wienhardt im Schwörhaus

Kultur

Rems-Zeitung

Das letzte Schwörhaus-​Konzert der Saison belegte einmal mehr den Qualitätsanspruch der Reihe: nicht ausgetretene Pfade zum wiederholten Mal, sondern Aufführungen eigener Art zu bieten.

Mittwoch, 25. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
129 Sekunden Lesedauer

KONZERT (-ry).Diesmal gastierten der Stuttgarter Countertenor Daniel Gloger (nicht zum ersten Mal in der Stauferstadt, sondern z. B. der EKM verbunden) und der Pianist Prof. Peter von Wienhardt. Wer diesen eigenwilligen Könner erlebt hat (2008 etwa in Rettersburg mit einem reinen „Zugaben-​Programm“), der kann seinem Motto (Alfred Schnittke: „Mein Stil ist der Stilbruch“) amüsiert zustimmen. Da ergänzten sich also zwei Musikerpersönlichkeiten, die seit Jahren erfolgreich miteinander arbeiten.
Der eher atypisch spärliche Besuch hatte wohl etwas mit dem grundsätzlichen Unbehagen an Counter-​Art zu tun. Es ehrt aber diejenigen, die trotzdem gekommen waren: Sie erlebten so etwas wie ein Werkstatt-​Konzert, das sonst zumeist auf Komponisten zentriert ist.
Gloger nutzte so die Gunst der Stunde, alles Wissenswerte zu vermitteln: durch stimmliche Demonstration als auch verbal erläuternd. Dieser doppelt pädagogische Ansatz war ein Markenzeichen des Abends. Das andere: Man bekam Vieles zu hören, was im üblichen Repertoire kaum je zu hören ist. Musikschulleiter Friedemann Gramm hatte zu Recht auf die Originalität eines so wohl noch nie gehörten Programms hingewiesen. Allein die Tatsache, dass neben Liedern von Henry Purcell englische von Joseph Haydn (Six Original Canzonettas — Second Set von 1795), des Zeitgenossen Manuel Hidalgo (Grenzgänger zwischen Pop und Klassik) oder der Amerikaner Charles Ives und Samuel Barber sowie des großen Briten Benjamin Britten zu hören waren, steht für eine Repertoire-​Erweiterung ganz eigener Art, zugleich sehr reizvoll, was die Komposition der eben auch originellen Texte anbelangt.
Daniel Gloger ist lange genug „im Geschäft“, mit Preisen und anspruchsvollen Engagements bedacht, dass er neben dem Singen auch das humorvolle Kommentieren favorisiert.
Sachgerecht stellt er das Falsettieren dar, quasi als Pendant des früheren Kastratentums, das er selbstredend ablehnt. Er verweist auf die weniger anstrengende Singweise. Offen bleibt aber, warum kaum ein Counter die exponierte Lage im Piano schwingend timbriert (oder dies etwa nicht will?), sondern die Höhe eher starr bzw. spitz nimmt. Ganz zu schweigen vom Problem möglicher „Diskriminierung“ weiblicher Altstimmen, denen per Konkurrenz die „Butter vom Brot genommen“ wird? Falsettieren bleibt ein Stück weit Ersatz, da es wegen der Randschwingungen der Stimmlippen nicht an das Original der Kastratenmutation heranreicht. Daraus ergibt sich zwingend, dass die von Alfred Deller (* 1912) kreierte neue Ästhetik des Altus/​Countertenors als Geschmacksfrage individuell zu entscheiden bleibt.
Sieht man von solcher Kontroverse ab, so zeigt Gloger ein Respekt abnötigendes Engagement, eine enorme Intervallspanne bis zur Sopranhöhe hinauf und eine minutiös detaillierte Interpretation der vielseitigen Lieder aller Gemütslagen, die durch launige Kommentierung komplettiert wird.
Am überzeugendsten gelingen die zeitgenössischen Werke. Das Zuhören macht einfach Freude — deshalb die vielen Bravorufe! Peter von Wienhardt begleitet exzellent. Er scheut sich nicht, den großen Steinway-​Flügel ordentlich auszureizen. Klangfülle, Dynamik und tolle Akzente unterstreichen nicht bloß die vokale Vorgabe, das (im Sinne des Wortes) selbstbewusste Spiel erst lässt das „Gesamtkunstwerk“ zur Vollendung gelangen. Beider Künstler Musizieren ist einfach hinreißend. Barock bis zur Gegenwart, „Seriöses“ und Augenzwinkerndes, Schlichtes und Koloraturbravour — die Spannung macht die Qualität.
Jeder Hörer kam also — bei ganz unterschiedlicher Erwartung — auf seine Kosten und wurde Zeuge eines bemerkenswerten Abends.