Schön gereift: Die Longhorns und Rudresh Mahanthappa

Kultur

Rems-Zeitung

Man kennt das: Es sind Konzertkarten für die Lieblingsband im Angebot, nur was ist mit der Vorgruppe? Bei der Gmünder Jazz-​Mission stellt sich diese Frage nicht — es sind zwei Top-​Ensembles: Die „Longhorns“ und Rudresh Mahanthappa.

Montag, 09. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
121 Sekunden Lesedauer

Von Volker Grahn
JAZZ. Dass dies schon lange Tradition hat, wissen die Kenner und schätzen das. Daher wird statt von der Vorgruppe schlicht und ergreifend von einem „Opener“ gesprochen. Basta. Will der Zuhörer des Abends ein Motto finden, ist kein langes Überlegen notwendig.
Absetzen der Blasinstrumente strengstens verboten: Denn schon nach kurzer Zeit wurde beim Opener „Longhorns“ klar, dass die vier Posaunisten, allen voran Stephan Kirsch an der Bassposaune, einen an den Rand des Entzugs bringen. So schnell gewöhnen sich am Samstag in der Schwerzerhalle die Ohren an die Klänge, die von samtig-​weich bis zu kernig, aber immer mit langem Abgang reichen. Zu diesem durchweg stimmigen Klangereignis passt das in Whiskybraun gehaltene Bassinstrument, welches von Michael Heise gehalten wurde. Gezupft und gestreichelt hat er die Saiten, wenn auch manches mal ein wenig aufgeregt, dafür aber mit Gefühl und Präzision.
Dass ein gutes Jazzkonzert nicht grundsätzlich mit einem Schimmel, Bechstein oder Steinmann bestritten werden muss, zeigte der 40-​minütige Vortrag der „Longhorns“. Boris Ritter, Pianist, wurde in die zweite Reihe hinter den Posaunisten verbannt. Er saß etwas versteckt. Doch der Tastenschlag am E-​Piano war so gelungen und stimmig, wie die Abstimmung eines 25-​jährigen Edelwhiskys. Einfach unerhört gut.
Apropos unerhört. Schade nur, dass das Piano öfters leider etwas zu leise war und nicht richtig zu Geltung kam. Nicht nur in der Welt des Flüssigen Goldes wird Wert auf Neuheiten gelegt. Stephan Kirsch entlockte der Posaune, nachdem er eine Gummiglocke, die zuhause für die Beseitigung von Abflussverstopfungen herhalten muss, an den Instrumentenausgang hielt, verblüffende Klänge. Durch Abstandsveränderungen zum Austritt der Posaune entstanden groteske wie auch einfach geniale Töne.
Zweiter Hauptact des Abends: Rudresh Mahanthappas Codebook-​Quartett. Zugegeben, nicht nur Mahanthappa scheint etwas außergewöhnlich am Saxophon, sondern ebenso seine Spiel mit Steve Jobs’ Bestseller, dem Apple Mac. Gitarre, Bass, Drums und Sax in Kombination mit im Computer hinterlegten langsam oder aufkratzenden Klängen. Mal irdisch, mal außerirdische Klangkompositionen waren zu hören.
Fantastisch, wenn auch manchesmal die Drums von Damion Reid zu heftig und laut waren und daher eher als Soli interpretiert werden konnten. Das Quartett spielte „samdhi“. Das bedeutet „das, was verbindet und vereinigt“. Und genau das spielten die Vier. Nicht mehr, aber auch keinen Ton davon weniger. Im traditionellen Hindukontext bezieht sich Samdhi auf den Zeitraum zwischen dem Ende eines Zeitalters und dem Anbruch eines neuen. Für Mahanthappa bedeutet dieses Projekt eine neue Dimension des Verbindens komplexer melodischer Elemente der indischen Musik vereint mit dem traditionellen Jazz. Und das ist ihm gelungen. Ebenso wie der gesamte Abend hervorragend gelang. Auch wenn er wegen Baustelle statt im Prediger in der aus Holz gebauten Schwerzerhalle abgehalten wurde. Was wiederum belegen mag, dass guter Wein und Whisky wie auch Jazz im Holz schön zu Höherem reifen.