Die neue Revue der „Orangenhäute“

Kultur

Rems-Zeitung

Ein Banker hinter Gittern, das gab es auch schon vor 150 Jahren. Doch damals war es eine Schande, heute ist es ein Betriebsunfall. Wie Anlageberater mit ihren Kunden und deren Geld umgehen, das bringen die Orangenhäute in ihrer neuen Revue locker auf die Bühne.

Montag, 12. März 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
155 Sekunden Lesedauer

THEATER (wil). Sechs Darsteller für neun Rollen, das erzwingt einen fließenden Übergang, zeigt die Zeitlosigkeit des Stückes. „Geld erbarme dich unser“ ist nicht nur eine Anspielung auf Gott, sie ist auch so dauerhaft und allenthalben. Was Gott für die Seele ist das Geld für das Gemüt, das Wohlbefinden – nur die Werte sind andere.
Mit eingängigen Melodien, nicht selten katholischen Chorälen nachempfunden, mit bewusst unverständlichen Dialogen, dem Businessmilieu angepasst und gewaltiger Aktualität treten die Orangenhäute mit ihrem neuen Programm vor das Publikum. Die Theaterwerkstatt, beschaulich zwischen Landesbank, Deutscher Bank, Volksbank und Kreissparkasse gelegen, war ein symbolträchtiger Ort für die Premiere am Wochenende.
Geldanlage ist vorwiegend Männersache – und so sind auch Anthony O’Connell, Stephan Krebs und Hajo Lange als Anlageberater unterwegs, verstärkt von Regina Münsinger, deren Spezialgebiet aber das Essen ist, genauer der Rohstoffmarkt mit Weizen, Reis und anderen Agrarprodukten, auf deren Preisentwicklung man munter spekulieren kann. Und während diese vier über die Anleger herfallen, ihnen Investments, Zertifikate und Beteiligungen anpreisen, spielt sich auf höherer Ebene die moralische Abrechnung ab.
Um 1850 geschah der reale Vorfall, den Ibsen in seinem Drama „John Gabriel Borkman“ verarbeitete. Monika Veit als Gattin des gefallenen Borkman und Helga Röger-​Schnell als ihre Schwester und Exgeliebte des Schwagers fechten ihren Kampf auf einem schmalen Laufsteg aus. Ihren Kampf um den Sohn Borkmans, den ehrlichen Namen, das gesellschaftliche Leben. Da ist die Frau und Mutter, verarmt in ihrem alten Samtkleid, des Sohnes beraubt und in den Konventionen gefangen. Auf der anderen Seite, im Persianer, ihre Schwester, die zwar den Geliebten verlor, aber seinen Sohn erkaufte, dessen Zukunft gestaltete und in ihm ihre Familie fortleben lässt. Während die eine unverschuldet in Not und Schande fiel, arbeitet die andere am Erhalt des Systems, will den Sohn dort positionieren, wo der Vater versagte und wieder aufsteigen. Für Ibsen ist das Bankensystem des vorvergangenen Jahrhunderts eine ehrwürdige Institution, die treuhänderisch das Geld der Kunden verwaltet, es mehrt und Fleiß belohnt.
Dagegen stellen die Orangenhäute das Banking nach Art von Lehman Brothers: eine Zockerbande, die im besten Brechtschen Sinne handelt, dass die Gründung einer Bank ein größeres Verbrechen sei als ein Bankraub.
In etlichen Szenen zeigen sie, wie unbedarfte Kunden über den Tisch gezogen werden, wie statt einer geplanten Altersvorsorge mittels Riesterrente ein Rundum-​Paket verkauft wird. Wunschgemäß spielt Stephan Krebs den verführten Arzt, der sein Geld anlegen will, im Netz der Anlagespekulanten landet – was mit Therabändern drastisch verdeutlicht wird – und der sich dann schämt, hereingefallen zu sein und darüber mit niemandem sprechen möchte. Ob beim Geschäftsessen oder beim Golfen, es geht um Geld. Jeder möchte mehr davon und mit derben Sprüchen machen sich die Banker über die leichtgläubigen Kunden lustig: „Ihr Geld ist nicht weg, es hat jetzt nur ein anderer.“ Doch es sind die Gierigen, die ihnen das Geld hinterher tragen. In etlichen Songs wird der heutige Lifestyle besungen, ob beim Shoppen oder „Ich will was neues, ich weiß nur nicht was“.
„Ehre sei Geld in der Höhe“ klingt nicht nur wie ein Credo, es ist es. So wechselt Monika Veit dann in die Gegenwart, wünscht sich Reichtum, Klugheit, Schönheit und ist bereit, dafür die Rivalin zu beseitigen. Anspruchsdenken und Karriere gehen eben über Moral. Anthony O’Connell hingegen schlüpft in die Rolle Borkmans, der sich mit seiner Exgeliebten ausspricht und schließlich mit ihr dem Tod entgegen geht. Die Orangenhäute führen die beiden mittels einer Videosimulation wirklich unter die Erde, genauer in den Gmünder Einhorntunnel, wohin sie Hajo Lange in gewohnt perfekter Weise mit Klaviermusik begleitet.