Gmünder Stadtjubiläum: Die „Okkupation Gmünds“

Kultur

Rems-Zeitung

„Schweigen, gehorchen und bezahlen“, so hieß vor zehn Jahren eine schon legendär gewordene Ausstellung im Ellwanger Schloss zur Mediatisierung und Säkularisation, die Schwäbisch Gmünds Ende als Freie Reichsstadt besiegelte. 1802 war ein Schicksalsjahr für die älteste Stauferstadt – und wirklich der Schluss des Mittelalters.

Freitag, 20. Juli 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
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GESCHICHTE (rw). Solcher Jubiläen gedenkt man, man feiert sie nicht. 2002 zählte man in der Ellwanger Ausstellung, die von den Stadtarchivaren Gmünds, Aalens und Ellwangens besorgt wurde, 10000 Besucher. Nie zuvor war die Entwicklung jenes Gebiets, das im Königreich Württemberg als „Neuwürttemberg“ firmierte, so klar in seinen Ursachen und Folgen dokumentiert worden. In der Reihe der Vorträge zum Gmünder Stadtjubiläum, gehalten in der VHS am Münsterplatz, beleuchtete Stadtarchivar Dr. Klaus Jürgen Herrmann jetzt die Übernahme der Reichsstadt.
Gmünd fiel dem Herzogtum, das zum Königreich aufstieg, als überreifer Apfel in den Schoß. Eigentlich eine Tragödie – bitter für die Bürger; andererseits ein komischer Anhang, wie ihn die Geschichte immer wieder kennt, wenn sich eine Epoche überlebt hat.
Schwäbisch Gmünd war fast 600 Jahre lang Freie Reichsstadt gewesen, zuletzt mit einem Territorium von 160 Quadratkilometern und 15 000 Bewohnern, 5 000 davon in der Stadt selbst. Zuletzt allerdings hatte man es mit einem ziemlich bankrotten Gemeinwesen zu tun, dessen Beamtenschaft als faul und korrupt galt und dessen Magistrat in der Bürgerschaft übel angesehen war – ein Fall von Politikverdrossenheit.
Wahrhaben wollte man eh nicht, was geschah. Man nahm an, dass Russland und Österreich eine Veränderung der Landkarte nicht zulassen würden. Dabei galt es schon im Juni 1802 als sicher, dass Gmünd württembergisch würde. Dazu der Stadtarchivar: „Am 24. Juli 1802 kam dann offiziell das Aus: Der Agent der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd am Kaiserhof in Wien berichtete in einem Schreiben dem Magistrat, dass es unabänderliche Tatsache sei, dass die Stadt württembergisch wird. Das Ratsprotokoll vermerkt die Todesnachricht für die Reichsstadt mit zwei nichtssagenden Zeilen: ‘Legitur (wird vorgelesen) Schreiben von Freyherrn von Röthlin in Wien in betreff des Entschädigungsplans. Wird beschlossen: Beruhe.’ Also auf deutsch: kann ohne Diskussion zu den Akten gelegt werden, um sich dann sogleich mit anscheinend weitaus wichtigeren Problemen der Abfallbeseitigung in der Stadt zu beschäftigen.“
Am 9. September 1802 rückten zwei Kompanien in die Stadt ein. Die Stadtsoldaten wurden gleich unter württembergisches Kommando gestellt. Der Magistrat tat, als gehe es ihn nichts an – man machte einfach weiter und fand es noch nicht einmal nötig, die Besetzung durch Württemberg im Ratsprotokoll zu notieren.
Man war sich schnell unsympathisch. Gmünds Erzchronist Dominikus Debler hielt fest, was ein württembergischer General sagte: „Man kenne Gmünd schon und bei Seiner herzoglichen Durchlaucht seie Gmünd ohnedem sehr übel recommandieret.“ Zur Last müsse man nun noch die Grobheit ertragen, jammerte Debler. Der militärischen Okkupation folgte die Zivilbesitzergreifung samt Kassensturz – wobei Verhältnisse herauskamen, bei denen einem unweigerlich Griechenland in den Sinn kommt: Die Stadt war pleite, teilweise waren seit 20 Jahren keine richtigen Rechnungen mehr gestellt worden. Das protestantische Württemberg verstopfte, was es als „Quellen des Müßiggangs“ im katholischen Gmünd ansah: 22 Extra-​Feiertag wurden abgeschafft, das Passionsspiel durfte nicht mehr aufgeführt werden. Am heftigsten traf es die Klöster, und unter diesen das Dominikanerkloster, den Prediger: Die wertvolle Bibliothek wurde verteilt, das Kirchensilber eingeschmolzen und alle Einrichtungsgegenstände um jeden Preis verramscht. Es kam fast zum Volksaufstand, als die Dominikaner am 29. Dezember 1802 den Konvent verlassen mussten. Der Prediger wurde Kaserne, die Kirche Pferdestall, das riesige barocke Deckengemälde Johann Anwanders ging dabei zugrunde. Noch 1818 wurden Gmünder Bürgerdelegierte vom Stuttgarter Finanzminister niedergebügelt: „Schweigen Sie mir von Ihrem elenden Gmünd. An diesem hat der Staat eine schlechte Acquisition gemacht und es wäre zu wünschen, man könnte diesem Lumpennest wieder los werden.“
Die Aversion von Alt– und Neuwürttembergern hielt ein halbes Jahrhundert an, und noch 1908 sprach die historische Beilage der Rems-​Zeitung von der „Okkupation Gmünds durch Württemberg“, eine Wortwahl, die Herrmann für verräterisch hält, so württembergisch sich die Gmünder im übrigen mittlerweile gaben. Stadtarchivar Albert Deibele sah es 1952 differenzierter: „Die Gerechtigkeit verlangt zu bekennen, dass Württemberg in diesen 150 Jahren alles getan hat, um das Wohl unserer Stadt zu fördern.“ Verhängnisvoll sei vor allem Gmünds verlotterte Verwaltung gewesen.
Andererseits: der Historiker ist ein rückwärtsgewandter Prophet. Manchmal singt er gerne Eisensteins Lied aus der „Fledermaus“: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“