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Warum der Gartenschaustuhl aus Täferrot ein ganz besonderer ist

Sehr selten wohl ist das böse Wort „Kirchenraub“ mit herzlichem Lachen und Frotzeleien verbunden: Ein Täferroter Team hat’s geschafft, und zudem einen der bemerkenswertesten Stühle an der Ostalbtafel geschaffen.

Mittwoch, 23. April 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 59 Sekunden Lesedauer


TÄFERROT (bt). Dieser Schultes wurde gefoppt, wie’s mit einem kleinen Windrad als Schmuckelement wäre, jener hörte Baumarktwitze, auch zum Gmünder Melkschemel wurde gekalauert, was das Zeug hielt. Die Stimmung war gut, als jüngst jede Stadt, jede Gemeinde im Kreis ihren eigenen Stuhl an der von jungen Forstleuten gezimmerten Ostalbtafel im Wetzgauer Himmelsgarten unterbrachte. Und so manche gute Geschichte war zu hören. Wie die aus Täferrot.
Für Bürgermeister Renner war’s undenkbar, das an allen Ecken und Enden zusammengehaltene Gemeindegeld für eine repräsentative, garantiert aber auch sehr teure Auftragsarbeit auszugeben. So wandte er sich also mit der Bitte um einen repräsentativen Täferrot-​Stuhl – einen halt, mit dem sich die Gemeinde nicht schämen muss, an einen Mann, der schon so oft ausgeholfen hat. „Mir muss nichts einfallen, ich bin nicht mehr Gemeinderat“, kam’s vom passionierten Schreiner und Drechsler Kurt Schumacher. Aber natürlich ist ihm doch etwas eingefallen. Und er wusste, dass er dazu die anderen „Freitagsdrechsler“ Günter Nesper und Rolf Krauss brauchen würde. Schumacher ist der ehrenamtliche Kirchenschreiner der Afrakirche; die Anschlagtafel ist ihm ebenso zu verdanken wie die Kerzenständer, die Geländersprossen, die Stürze verhindern sollen, die ausgetauschten Schlösser und die zur Strecke gebrachten Holzwürmer. Etwas Feineres als das Chorgestühl dieser Kirche, war Schumacher klar, gab’s in Sachen Sitzgelegenheit in ganz Täferrot nicht. Das Chorgestühl stammt aus der 1525 teilweise ausgebrannten Lorcher Klosterkirche, wurde 1565 dort abgeholt und, damals noch unbemalt, in den Chor der Afrakirche eingelassen – eine exzellente Arbeit, die durch Erweiterung und Bemalung über hundert Jahre später noch an Wert gewann.
Eben weil Schumacher so gut mit Holz umgehen kann – Spinnräder, aus einem Stück gedrechselte Kerzenleuchter oder Wiege und Laufstall für die Enkel sind nur einige seiner im Pensionsalter angefertigten Meisterstücke –, war ihm von Anfang an klar, welche Herausforderung das Kopieren des freistehenden Kirchenstuhls sein würde. Auch wenn dieser nicht mit den anderen verbunden ist, hielten ihn doch uralte Schlitzschrauben am Kirchenboden fest. Schumacher hatte sich der Hilfe seiner Drechsler versichert, aber auch zu dritt konnten sie den Stuhl nicht lösen. Während Schumacher also heimfuhr, nach geeignetem Werkzeug zu suchen und passende alte Schraubenzieher abzuschleifen, kauerten Nesper und Krauss auf dem dunklen Kirchenboden, den sie zuvor mit Kerzen ausgeleuchtet hatten. „Wenn jetzt einer kommt, der denkt, wir stehlen was“, meinte der eine und der andere lachte: „Tun wir ja auch, irgendwie.“ Bis Schumacher zurückkam, hatten sie den alten Stuhl einfach herausgezogen. Auch der Transport in die Werkstatt gestaltete sich einigermaßen abenteuerlich, aber dann konnte die Arbeit beginnen. Dass Schumachers Ankündigung, er werde ganz bestimmt nicht wegen jedem Maß, da zu nehmen sei, in die Kirche rennen, im Trubel der anstehenden Kirchenwahlen untergegangen war, konnten die Drei nicht ahnen.
„In der Afrakirche wurde
Gestühl gestohlen“
So jedoch gab’s 14 Tage später große Aufregung, als endlich entdeckt wurde, dass der ganz linke, der Klotzbücher-​Stuhl fehlte. Von Kirchenraub war die Rede und davon, umgehend die Polizei zu alarmieren. Eine Kirchengemeinderätin schließlich drängte darauf, den Ball erstmal flach zu halten, alle anderen Möglichkeiten auszuschließen: Vielleicht wusste der Kirchenschreiner etwas. Der konnte in der Tat weiterhelfen und sogar den im Entstehen begriffenen etwas größeren Zwilling des vermissten Stuhls präsentieren – die Menschen früher waren einfach kleiner.
Musste Schumacher bereits viel, sehr viel Zeit in diese Arbeit investieren, hat Dieter Dessol, gelernter Flachstichgraveur, insgesamt vier Wochen lang gemalt und in feinen Strichen gepinselt. Die Nachbildung hat all die raffinierten Details wie die an moderne Stehcafés erinnernde Hocker-​Funktion, ist aber nicht dem Original-​Stifter Jerg Klotzbücher, sondern den Schultheißen gewidmet. Auch schmückt ihn das Gemeindewappen mit St. Afra, Namensgeberin des Ortes, bis aus Afrenrot über Dafrenrot ein Tefferrot wurde; die Flammen, die um sie züngeln, zeugen von ihrem m Feuertod. In Weiß ist darunter der Zusammenfluss von Rot und Lein dargestellt. Die Kopie klaut garantiert keiner, dazu ist die aus Täferroter Eichenholz geschlagene und gesägte Handwerksarbeit viel zu schwer: Gut hundert Kilo bringt sie auf die Waage; wo andere im Himmelsgarten einen Stuhl-​Gang antraten, wählte Renner, erzählt er augenzwinkernd, die Sackkarre. Nach der Gartenschau soll der Schultheißen-​Stuhl im Rathaus untergebracht werden – und in Würde altern. Dank der Drechsler und Dank des Eichenholzes, das wohl ebenfalls Jahrhunderte überstehen wird, ohne Schaden zu nehmen.

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