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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Katarina Bader stellte ihr Buch über einen Auschwitz-​Überlebenden vor: „Jureks Erben“

Es ist ein ungewöhnliches Sachbuch, das sich an vielen Stellen so spannend wie ein Kriminalroman liest: „Jureks Erben. Vom Weiterleben nach dem Überleben“. Katarina Bader stellte das Buch gestern bei der Soirée im Rathaus vor.

Freitag, 28. Januar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 33 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (rz). Die Lesung fand anlässlich des gestrigen Holocaust-​Gedenktages statt. Engagiert, einfühlsam und eigenes inneres Erleben nicht aussparend schreibt die 32-​jährige Historikerin mit Gmünder Wurzeln in ihrem letztes Jahr im Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienenen Buch ihren polnischen Freund Jerzy Hronowski, genannt Jurek, der, weil er der polnischen Inteligencja angehörte, als 18-​Jähriger ins Konzentrationslager Auschwitz kam und vier Jahre dort verbrachte.
Später sprach Jurek mit deutschen Jugendgruppen über Auschwitz, fast 40 Jahre lang, bis kurz vor seinem Tod 2006. Ein charismatischer Mensch, der gerade junge Leute immer wieder für sich gewinnen konnte – der aber am Ende seines Lebens doch sehr einsam war. Ein sehr guter Erzähler – der doch viele Erinnerungen in sich trug, über die er niemals sprechen konnte. Es entsteht ein vielschichtiges Porträt eines faszinierenden Menschen, in dem auch schwierige Seiten seines Wesens zur Sprache kommen.
Dieses Bild ergibt sich nicht nur aus der Sicht der Autorin, die jahrelang mit Jurek befreundet war. Es wird lebendig durch die unterschiedlichen Perspektiven verschiedener Menschen, die Jurek nach 1945 begegnet sind und denen er Geschichten über sein Leben hinterlassen hat: Jureks Erben. Katarina Bader reiste auf Jureks Spuren durch Polen, Deutschland und schließlich auch zu Jureks Sohn, der im amerikanischen Westen als Truckfahrer arbeitet und den sie auf einer Tour durch die Wüste begleitet. Sie interviewte einen evangelischen Pfarrer, ehemals Napola-​Schüler und später Pionier der Versöhnungsarbeit zwischen Polen und Deutschland. Und die Tochter eines ostpreußischen Adligen, geboren auf der Flucht, aufgewachsen in Westdeutschland, erzählte der Autorin ihre Lebensgeschichte und davon, welch bedeutende Rolle Jurek für sie spielte, weil er ihr die Möglichkeit gab, die Geschichte ihrer eigenen Familie umfassender zu verstehen.
Katarina Bader trifft auch eine ganze Reihe von Menschen, die Jurek eine Zeitlang bei seinem verzweifelten Bemühen um die Niederschrift seiner Lebenserinnerungen unterstützten, denn Jurek, der Erzähler, wollte seine Lebensgeschichte unbedingt in geschriebener Form hinterlassen, scheiterte aber immer wieder daran und behandelte seine engagierten Unterstützer dann immer wieder ungerecht. Als Angehörige der „dritten Generation“ setzt Katarina sich aber auch mit der eigenen Familiengeschichte und der Art, wie ihr Vater sie zu bewältigen versucht, kritisch auseinander, ehe sie sich auf die Reise in die Archive des Auschwitzprozesses und dann zu polnischen Weggefährten von Jurek macht. Im Archiv des polnischen Geheimdienstes erfährt sie Dinge über ihren Freund, die sie lieber nicht gewusst hätte. Die wohl am meisten anrührende Begegnung ist jedoch die mit Tomek, Jureks Sohn, der ein sehr schwieriges Verhältnis zu seinem Vater hatte und dem Jurek seine Geschichten über die Zeit in Auschwitz nie erzählt hat. Katarina muss verstehen, dass ihr großväterlicher Freund Jurek, der immer versuchte, aufrecht durchs Leben zu gehen, eben auch ein gebrochener Mensch war, den sein Sohn stundenlang haltlos weinen sah, weil ihn ein unbedeutendes Geräusch in der Nacht zurückversetzt hatte in den Schrecken, der kein Ende nahm. Das „Weiterleben nach dem Überleben“ stellte Jurek immer wieder vor schwierige Entscheidungen und fast nicht zu bewältigende Herausforderungen. So vermittelt das Buch auch wesentliche psychologische Einsichten über das Tradieren von Erfahrungen und ihre Bearbeitung – und gleichzeitig ein lebendiges Stück deutsch-​polnischer Nachkriegsgeschichte. Eingefügt in die Spurensuche sind die Erzählungen, die Jurek aus seinen Erinnerungen an Auschwitz geformt hat, die er als Zeitzeuge zahlreichen Gruppen erzählte und die er schließlich Katarina Baders Vater auf Band sprach. Jerzy Hronowski kommt in dem Buch also auch selbst zu Wort – mit dem Deutsch, das er in Auschwitz gelernt hat, um zu überleben. So wird das Buch zum Dialog zwischen zwei Generationen und zugleich zum deutsch-​polnischen Dialog.

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