Kinder nicht verantwortlich für die Eltern

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Eine Ganztagesexkursion, die wohl nicht so schnell vergessen wird, führte die diesjährigen Abiturienten des Scheffold-​Gymnasiums zur Israelitischen Kultusgemeinde nach München.

Samstag, 23. Mai 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
131 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (pm). Es war schon ein ganz besonderes Ereignis, als Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, auf Einladung von Scheffoldlehrer Franz Merkle im Dezember letzten Jahre das Gymnasium besuchte und mit den 13ern ins Gespräch kam. Damals sprach sie die Einladung aus, einen Gegenbesuch in München zu machen. Jetzt nahmen die Abiturienten zusammen mit Schulleiter Reinhold Müller und mehreren Begleitlehrern diese Einladung an.
Staunend umrundete man zunächst die neue Synagoge am Jakobsplatz, einen Steinwurf vom Viktualienmarkt entfernt, 2006 eingeweiht. Die Kuppel aus Glas und Leichtmetallgitter mit Davidsternmotiv, die Außenwand mit Muschelkalk, in dessen Ritzen man — wie bei der Klagemauer in Jerusalem — Gebetszettel steckt. Hier ist das Zentrum des jüdischen Lebens in München und darüber hinaus: Rabbinat, Sozialabteilung, Restaurant, Kindergarten, Grundschule, Vortragssäle. Ein Ort auch für Konzerte, Theateraufführungen, Buchpräsentationen.
F. Weizer-​Fabian, die die 13er den Tag über begleitete, führte zunächst in den „Gang der Erinnerung“: 4500 Namen von jüdischen Bürgern Münchens, die deportiert wurden, waren auf eine lange Glasplatte eingeschrieben, Gedenkbücher listeten alle biographischen Daten auf. Auf der anderen Wand der Spruch: „Und keiner sprach für sie das Totengebet.“
Über eine Stunde verweilte man im Mittelpunkt jeder jüdischen Gemeinde, der Synagoge. Voraussetzung für einen Gottesdienst: mindestens zehn erwachsene Männer, wobei man mit 13 Jahren religiös erwachsen wird. Über dem Eingang Psalm 30 „Herr, du hast mich herausgeholt aus dem Reich des Todes, aus der Schar der Todgeweihten hast du mich zum Leben gerufen.“ Zedernholz aus dem Libanon als Wandverkleidung sorgt für harmonische Wärme. Da man sich kein Abbild von Gott machen soll, schmücken Psalmverse den Innenraum der Synagoge. Höhepunkt und Abschluss: der Blick auf den Thoraschrein „Wisse, vor wem du stehst.“
Nach einem koscheren Imbiss diskutierte man mit Jugendlichen der Kultusgemeinde München. Es kam zu einem lebhaften Gedankenaustausch, unter anderem über Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Jugendarbeit, über den Nahostkonflikt, den Staat Israel und die Rolle der Frau im jüdischen Glauben.
Igor meinte auf die Frage, was für ihn Jude-​sein in Deutschland bedeute: „Ich lebe nach den Gesetzen des Landes, schätze viele jüdische Wertvorstellungen und lebe sie auch bewusst in diesem Land. Ich möchte die Gesetze der Thora in Einklang bringen mit den Gesetzen des Staates.“ Abschließende Frage: „Ist es schwer für euch, im Land der Täter zu leben?“ Ilja: „Nein, ich trenne zwischen dem, was früher war und was jetzt ist. Wir jüdischen Jugendlichen gehen mit den Nachgeborenen in Deutschland unbefangen um.“ Und F. Weizer-​Fabian ergänzte: „Meine Mutter, Überlebende von Ausschwitz, hat mir die Worte mitgegeben: Vergessen dürfen wir nicht, aber die Kinder sind nicht verantwortlich für die Taten der Eltern.“
Es schlossen sich drei interessante, einstündige Workshops an: Einführung in die neuhebräische Sprache, Israelischer Volkstanz zwischen Klezmer und Jazz und Einführung in die Geschichte der Jiddischen Sprache.
Mona äußerte sich stellvertretend:“Der gelungenen Ausflug in das Zentrum der Israelistischen Kultusgemeinde München war eine gute Gelegenheit, mehr über das religiöse und gesellschaftliche Leben unserer jüdischen Mitbürger zu erfahren und sorgte auch in den darauf folgenden Tagen noch für viel Gesprächsstoff in den Klassen“.