Staatssekretär a.D. Dr. Dieter Schulte sprach bei den CDU-​Senioren über 20 Jahre Wiedervereinigung

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Gastreferent Dr. Dieter Schultereferierte bei den CDU-​Senioren über die vergangenen 20 Jahre nach derWiedervereinigung und die sicherlich noch lange verbleibenden Problemefür Staat und Gesellschaft.

Donnerstag, 11. November 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
155 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (pm). Zur Novemberversammlung der CDU-​Senioren im Stadtverband Schwäbisch Gmünd konnte der Vorsitzende Klaus Grimminger eine stattliche Zahl von politisch interessierten Zuhörern begrüßen.
„Im Osten oft einseitig und unvollständig dargestellt, im Westen oft auf den Soli beschränkt, das ist eine ahistorische und seelenlose Verkürzung eines Jahrhundertwerks auf die jeweiligen Tagesthemen“, eröffnete Schulte seinen Vortrag. Dieter Schulte, bei Bundeskanzler Helmut Kohl über zehn Jahre Parlamentarischer Staatssekretär, machte deutlich, dass die Veränderungen der vergangenen 20 Jahre Ost wie West gleichsam getroffen hätten, von der Globalisierung und Digitalisierung über die Konzentrationswelle und die Finanz– und Wirtschaftskrise. Die Auswirkungen seien im Osten auf Grund der schwächeren ökonomischen Grundsubstanz oft härter gewesen, wie die Zahlen von Arbeitslosen und Hartz IV-​Empfängern auswiesen.
Andererseits habe aber die gemeinsame Wirtschaftspolitik sowie die vielerlei Hilfen durchschnittliche Lohnsteigerungen ermöglicht, von denen andere frühere Ostblockstaaten bis heute nur träumen könnten. Wie Schulte erklärte, habe man von den Lohnsteigerungen im Westen profitieren können, obgleich die DDR-​Wirtschaft vor 20 Jahren genauso am Ende war wie die der Sowjetunion.
Leider hätten dies jedoch die alte DDR-​Riege und ihre geistigen Nachfolger verschwiegen. Beispielhaft nannte Schulte, dass nach der Wende niemand mehr einen Trabbi kaufte. Es gab für das DDR-​Auto keinen Markt mehr. Die Märkte für DDR-​Waren im früheren Ostblock seien wie weggefegt gewesen. In der DDR-​Nostalgie tauche dies nicht auf.
1,7 Billionen waren für die
Sanierung des Staates nötig
Auch habe man vergessen, dass von den 17 Millionen Einwohnern acht Millionen Stasi-​Akten angelegt waren. Wie aufwändig die Wiedervereinigung war, zeigten die 1,7 Billionen, die in den Folgejahren nötig wurden, um den maroden DDR-​Staat zu sanieren. Stattdessen würden hinzugekommene negative Entwicklungen von bestimmten politischen Kreisen völlig zu Unrecht der Wiedervereinigung angelastet, obgleich man die Gründe hierfür größtenteils in der Globalisierung suchen müsse. Wenigstens könnte doch der Spitzenplatz Deutschland bei der Bewältigung der Finanzkrise auch bei Kritikern Anerkennung finden, so der CDU-​Politiker.
Dies ändere freilich nichts an der gestiegenen Unsicherheit vieler Menschen in Bezug auf Arbeitsplatz oder Rente, Gesundheitskosten oder Pflege. Schulte: „Diese Unsicherheit ist auch im Westen gewachsen und wirkt in die Zukunft ungeachtet der heute sichtbar gewordenen Erfolge bei Arbeitsplätzen und in der Wirtschaft.“ Die Verschuldung der öffentlichen Hand komme erschwerend hinzu. Diese Probleme müssten unter Nennung der Faktoren gemeinsam gelöst werden. An Realitäten vorbeischauen erhöhe nur die Unsicherheit.
In der Wirtschafts-​, Finanz– und Gesellschaftspolitik verlangt der langjährige Abgeordnete eine Wiederbelebung und Fortschreibung der sozialen Marktwirtschaft. Hier brauche der Westen gerade nach der überstandenen Krise eine Neubesinnung; im Osten sei die Wirtschaftsordnung Ludwig Erhards gar nicht wirklich angekommen. Von Chancengleichheit und Karriere höre man dort so wenig wie bei Anne Will im Fernsehen. Hier liege eine große Aufgabe der CDU.
Er hoffe, so fuhr Schulte fort, dass es viele positive Ereignisse in Deutschland gebe, die das Land noch schneller zusammenwachsen lassen. Jedoch glaube er, trotz der heute günstigen wirtschaftlichen Entwicklung und positiver Bilanzen nicht an ein schnelles Auslaufen des Solidaritätsbeitrages. Dazu habe der Osten bislang nicht genügend wirtschaftliche Zentren.
Hoffnung auf ein wirkliches Zusammenwachsen bestehe durch die vielen jungen Menschen, die sich beim gemeinsamen Arbeiten, Lernen und Studieren näher kämen. Verhängnisvoll könne es allerdings werden, in Gesprächen über die Zukunft den Themen Freiheit und Demokratie, Rechtsstaat und Menschlichkeit zu wenig Gewicht beizumessen. 28 % Stimmen für die PDS vor einem Jahr in den neuen Bundesländern würfen schon die Frage nach Gedächtnis oder Versäumnis zu Fakten über Stasi und Gefängnis, Tote an der Mauer und Besatzung auf. Bei aller Notwendigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung sei die Freiheit, die Vermittlung ihrer Werte und die Sicherung ihres Bestands das Allerwichtigste“, sagte Schulte; hier liege unsere Hauptaufgabe, auch bei der Jugend im Westen.