Weihnachtliche Mystik der Wintersonnenwende im Höhlensystem beim St. Salvator /​Vermutlich eine römische Mithras-​Kultstätte

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Weihnachten, St. Salvator, die Mystik der Wintersonnenwende und die Römer. Auf den ersten Blick haben die Begriffe nichts miteinander zu tun. Doch am uralten Gmünder Wallfahrtsberg mit seinem sagenumwobenen Höhlen– und Stollensystem werden sie zu einem Puzzle vereint, das für die Heimat– und Kirchengeschichte zu neuen Wahrnehmungen führt.Von Heino Schütte

Freitag, 24. Dezember 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
170 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Es gab schon immer Hinweise und Vermutungen, dass der längste der Stollen am Nepperberg nahe der St.-Salvator-Kirche zur Beobachtung der Wintersonnenwende angelegt sein könnte. Sozusagen ein geniales Stonehenge, nicht in Südengland, sondern bei uns in Schwäbisch Gmünd! Mit freundlicher Einladung der Familie Dr. Pfander, auf deren Privatgrundstück sich der etwa 20 Meter tiefe Stollen befindet, durften wir am Dienstag dem Forschertrieb freien Lauf lassen. Dazu kam ein unglaubliches Glück: Nach Wochen trüben Wetters öffneten sich am Morgen der Wintersonnenwende im Südosten über der Alb die Wolken für eine ideale Beobachtung des Nepperberg-​Phänomens. Ein atemberaubendes Erlebnis: Die Sonnenscheibe erhob sich überm Bernhardus. Die Sonnenstrahlen wanderten ganz am Ende des engen Tunnels exakt in die Mitte des altarähnlichen Steingebildes. Als würde die Sonne direkt auf der Terrasse vor dem Zugang zu dieser Höhle stehen, erhellte sie für kurze Zeit den gesamten Gang. Nur ganz genau bei Sonnenaufgang und exakt zum 21. Dezember ist dieses Phänomen zu bewundern. So, als hätten die unbekannten Mineure diesen Stollen ausschließlich für diesen Beobachtungszweck in den Nepperberg getrieben. An diesem mystischen Ort nahe des St. Salvator denkt man nicht mehr an Zufälle, sondern glaubt eher an Fügungen, die sich möglicherweise schon seit knapp 2000 Jahren aneinanderreihen. Die Lösung des Rätsels ist in der römischen Geschichte und Mythologie zu finden: Vieles deutet zwischenzeitlich darauf hin, dass es sich hier am St. Salvator/​Nepperberg nahe des Limes eine Mithras-​Kultstätte befand. Die Gottheit Mithras stammt ursprünglich aus dem Orient, wurde im Zeitalter des römischen Imperiums dann von den Römern als Sonnengott verehrt. Nachgewiesene Mithras-​Versammlungsstätten, die allesamt Ähnlichkeit mit dem Stollen am Nepperberg aufweisen, gibt es vielerorts dort in Europa, wo über einen längeren Zeitraum hinweg römische Legionäre oder überwiegend ihre Hilfstruppen die Provinzen des römischen Reiches überwachten. Rekonstruktionen zeigen lange unterirdische Gänge mit seitlichen Steinbänken und einem Altar, der mit Reliefdarstellungen des Mithras gekrönt war. Priester zelebrierten die Mithras-​Anbetungen. Mithras wird als Personifizierung des Vatergotts Sol gedeutet, der von ihm durch eine geheimnisvolle Felsgeburt auf Erde geschickt wurde. Die Menschen hatten seinerzeit ja noch keine Kenntnis vom Planetensystem. Das lebenswichtige Geschehen am Himmelszelt wurden Gottheiten, besonders Sol (Sonne) und Luna (Mond) zugeschrieben. Ein vierspänniger Streitwagen taucht auf vielen Bildnissen auf, mit dem der Sonnengott seine Bahnen zieht. Es gibt – ähnlich wie bei Moses – auch ein Wasserwunder, nachdem Mithras für ein durstiges Volk einen wundersamen Pfeil in einen Felsen geschossen hatte. Möglicherweise war es ja auch „nur“ ein Wolkenberg, was dann in den Überlieferungen verklärt dargestellt ist.
Die Sonnenverehrung der Römer gilt auch als Element, das auch den Siegeszug des Christentums prägte. Es ist ja nicht verbrieft, zu welchem Datum das Christkind geboren wurde. Im Kalendarium des frühen Christentums wurde der 25. Dezember festgelegt. Es handelte sich auch um den Geburtstag des Sonnengottes und den Zeitpunkt der Wintersonnenwende mit ihrem Aufatmen der Menschen, weil die Sonnenscheibe nun endlich wieder höher stieg, wärmer wurde und bei den Menschen länger verweilte. Durch Verschiebungen im Laufe der Jahrhunderte zeigt nun der heutige Kalender stets den 21. Dezember für die Wintersonnenwende. Mit viel Symbolik in der Sprache wird zudem die Ankunft des Heilands an Weihnachten auch als das Licht der Welt beschrieben, was auch vermuten lässt, dass die Römer im Zuge der Christianisierung keinen kompletten Abbruch der Beziehungen zur Verehrung früherer Gottheiten riskieren wollten. Und aus manchen vorchristlichen Kultstätten sind auch Kirchen Wallfahrtsorte hervorgegangen. Indizien auch dafür, dass es sich bei unserem St. Salvator um eine der ältesten christlichen Versammlungsstätten im Land handeln könnte. Legt man übrigens ein Lineal auf die Beobachtungslinie der Mystik des Sonnenaufgangs am St. Salvator führt diese nicht nur auf den Bernhardus, sondern weiter bis zur Wallfahrtsstätte an der Patrizkapelle bei Böhmenkirch, entlang einer dort vermuteten Römerstraße. Ob Zufall oder Absicht, das „Licht der Welt“, das wir zu Weihnachten feiern, ist darüber gewiss erhaben.