Wissbegierig von Kindesbeinen an

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Die Note 2 findet man im Schulzeugnis von Viola Alexandra Schramm, Leos Nihat Kayhan und Ismail Özergen nur sehr selten; die Note 3 gar nicht. Die drei Jugendlichen mit Migrationshintegrund haben vor allem Einser im Zeugnis stehen. Ein Grund, weshalb sie in das Stipendienprogramm „Talent im Land Baden-​Württemberg“ aufgenommen wurden.

Samstag, 11. September 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
179 Sekunden Lesedauer

Von Nicole Beuther
SCHWÄBISCH GMÜND. Persönliche Beratung, Stipendiatentreffen, Sommerakademien und einige weitere Bildungsangebote – das, was die drei Parler-​Schüler bis zu ihrem Abitur geboten bekommen, ist jede Menge. Obendrauf gibt’s einen monatlichen Geldbetrag, der für kulturelle Weiterbildungen verwendet werden kann.
„Es ist eine Riesen-​Chance, die uns gegeben wird“, sagt Viola Alexandra Schramm, die ab diesem Schuljahr die zwölfte Klasse des Parler-​Gymnasiums besuchen wird. Genauso wie die Achtklässler Leos Nihat Kayhan und Ismail Özergen wurde die 17-​Jährige von ihrem Lehrer Stephan Gora darauf aufmerksam gemacht, dass die Möglichkeit besteht, sich für ein solches Schülerstipendium zu absolvieren. Gedacht ist dieses für begabte Jugendliche aus Zuwandererfamilien. Gefördert wird das ganze von der Robert Bosch Stiftung und der Baden-​Württemberg Stiftung.
Geschenkt bekommt man solch ein Stipendium nicht. So mussten die drei Parler-​Schüler eine Bewerbung mit Lebenslauf schreiben. Nicht nur Daten und Fakten mussten wiedergegeben werden, sondern vor allem die persönliche Situation. Die unterscheidet sich zwar nicht wesentlich von der ihrer Altersgenossen. Doch die drei Parler-​Schüler haben allesamt Migrationshintergrund. Bei Ismail Özergen und Leos Nihat Kayhan ist es einzig der Name, der daran erinnert. Genauso wie Viola Schramm sprechen sie fließend deutsch und von ihren Schulleistungen kann so mancher nur träumen. So hat Ismail Özergen einen Notendurchschnitt von 1,1. Die Eltern des 13-​Jährigen kommen aus der Türkei und wie viele andere junge Türken ist auch Ismail zweisprachig aufgewachsen. Sein Vater spricht mit Ismail deutsch; seine Mutter türkisch und deutsch; sind sie alle zusammen, dann wird türkisch gesprochen. Dass der junge Gmünder in der Schule mit guten Noten glänzt, liegt vor allem an seiner Wissbegierde. So habe er, erzählt er, schon immer gerne und viel gelesen, vor allem deutsche Bücher. Mit dem monatlichen Betrag, den die Stipendiaten bekommen, möchte Ismail gerne Klavierunterricht nehmen. Bereits seit der zweiten Klasse spielt er Keyboard. Außerdem gehört er der Theater AG und dem Chor des Parler-​Gymnasiums an. Später möchte Ismail gerne als Kinderarzt arbeiten.
Die 17-​jährige Viola Schramm erwägt, ein Psychologie-​Studium in Angriff zu nehmen. Zunächst aber steht die Schule im Mittelpunkt. Violas Lieblingsfächer sind Ethik und Französisch. Sprachen liegen ihr – sie ist zweisprachig aufgewachsen (die Mutter ist Engländerin, der Vater Deutscher) und hat einen englischen Kindergarten besucht. Die Gmünderin hat sich riesig über die Aufnahme in das Stipendienprogramm aufgenommen zu werden, gefreut. „Ich habe nicht damit gerechnet“, erzählt sie. Doch die Jury zeigte sich beeindruckt von ihrer Bewerbung und schließlich auch von dem Interview, zu dem die Auserwählten eingeladen wurden. Hier musste Viola, die einen Notendurchschnitt von 1,6 hat, auch ihre Englisch– und Französischkenntnisse unter Beweis stellen.
Im Fokus des Interviews standen die persönlichen Ziele und Wünsche der jungen Leute. Leos Nihat Kayhan möchte gerne Arzt werden. Er besucht dieselbe Klasse wie sein Kumpel Ismail Özergen und ist ebenfalls zweisprachig erzogen worden – deutsch und englisch. Während die Mutter, Claudia Kayhan, mit den drei Kindern deutsch spricht, unterhält sich Ricep Kayhan, der türkisch-​britischer Herkunft ist, mit den Kindern ausschließlich auf englisch. Sind alle zuhause, dann wird nur englisch gesprochen. Nebenbei wird dem Nachwuchs noch die türkische Sprache beigebracht. Werden DVDs geschaut, dann meist in englischer Sprache. Aber Leos Nihat hat nicht viel Zeit und auch keine Lust, in die Röhre zu schauen. Lieber geht er seinen Hobbys nach. Und das sind nicht wenige: Der 13-​Jährige spielt seit seinem fünften Lebensjahr Klavier und besucht die Gmünder Musikschule; außerdem betreibt er, ebenfalls seit dem fünften Lebensjahr, Leistungssport beim TV Wetzgau. Fünfmal in der Woche geht es für jeweils zweieinhalb Stunden zum Geräteturnen in den Uni-​Park. Auch in der Schule zeigt der Mutlanger, der einen Notendurchschnitt von 1,5 hat, großes Engagement: Er gehört der Theater AG und dem Chor an. Und wann hat er Zeit zum Lernen? Vor allem im Unterricht, erzählt er, lernt er viel. Außerdem macht er regelmäßig seine Hausaufgaben und fängt eine Woche vor den Klassenarbeiten an, zu lernen, „das macht mir Spaß“. Zudem gehört Leos Nihat dem Debating-​Kurs an der Schule an. Das Stipendium begann am 1. September und endet mit dem Abitur. Regelmäßig müssen die Stipendiaten ihr Zeugnis den Verantwortlichen der Stiftung vorlegen.