Reisebericht (7): Wolfgang Schlupp-​Hauck und Brigitte Schlupp-​Wick rumpeln mit ihrem Tandem über bulgarische Schlaglöcher der Türkei entgegen

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Die ersten Tage bei der Donau in Bulgarien waren die heißesten Tage der Tandemtour des Ehepaars, schreibt Wolfgang Schlupp-​Hauck. Abenteuerlich waren die Wege zum Schwarzen Meer: eine aufregende Zugfahrt, radeln über die längste Brücke des Balkan und auf verbotener Schnellstraße.

Donnerstag, 23. September 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
273 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND Weiter im Bericht: Das Thermometer in unserem Kilometerzähler zeigte 37 — 39 Grad im Schatten. In der prallen Sonne klettern die Temperaturen viel höher. Der Schweiß floss in Strömen — vor allem bei den Steigungen, und die zehn Liter Getränke, die wir am Morgen für den Tag in den Trinksack eingefüllt und im Hänger verstaut hatten, waren am Abend fast vollständig ausgetrunken. Wir waren froh um jeden Baum und Strauch, der uns Schatten spendete.
Nicht nur die Temperaturen machten uns zu schaffen, auch die Beschaffenheit der bulgarischen Straßen. Ständig galt es Schlaglöchern auszuweichen. Die Entfernungen zwischen den Dörfern waren viel größer als in Serbien. Wir fuhren vorbei an endlosen Feldern von Sonnenblumen oder Mais. Wir teilten die Straße mit alten Autos, klapprigen Motorrädern, Esel– und Pferdefuhrwerken.
Die Dörfer machten einen trostlosen Eindruck. Viele zerfallende unbewohnte Gebäude. An etlichen hingen noch die Todesanzeigen der Menschen, die sie einmal bewohnt hatten.
In unserer ersten Nacht mussten wir im Motel das Zimmer mit einigen Flöhen teilen. Doch nicht nur wegen ihnen, auch wegen der die ganze Nacht bellenden Hunde war es schwer, ruhig zu schlafen. Brigitte saß noch der Schrecken des Hundeangriffs aus Serbien in den Knochen. Die Besitzerin, die früher in Deutschland gearbeitet hatte, versuchte sie zu beruhigen: „Unsere Hunde beißen nur dunkle Leute.“ In dieser Äußerung spiegelt sich der latente Rassismus gegen die Zigeuner, der uns immer wieder begegnete. „Ein Zigeunerdorf“ wurde uns ein andermal gesagt, es sei gut, dass wir nicht dort übernachtet hätten. Es ist pittoresk anzusehen, wenn sie mit ihren Fuhrwerken Schrott oder Müll einsammeln, aber „lustig“ ist das Zigeuner leben sicher nicht. Ärmlich sind ihre Unterkünfte an den Ortsrändern.
Wir radelten durch menschenleere Landstriche, von der Donau bekamen wir fast nichts mehr zu sehen. Riesige brachliegende Flächen oder Monokulturen säumten unseren Weg. Immer wieder waren abgeerntete Felder, Feldraine oder Müllhalden angezündet. Durch diese Rauchwolken zu radeln war keine Freude.
Für unsere dritte Nacht fanden wir kein Hotel. Ein 16-​jähriger Junge der etwas Englisch sprach, interessierte sich für uns und wollte uns helfen eine Unterkunft zu finden. Nach einem Telefonat mit seiner Mutter erklärte er, die Familien hätten ihre Gästebetten schon belegt, da ein Stadtfest sei. Er führte uns zum ehemaligen Schulgelände, auf dem wir Zelten könnten, die Polizei und der Bürgermeister seien von seiner Mutter informiert worden. Seine Freunde waren sofort bei uns und bestaunten unser Tandem. Unsere Nachtruhe wurde nur durch die laute Musik vom Fest und dauerndes Hundegebell beeinträchtigt. Wir waren so müde, dass uns dies nicht vom Schlafen abhielt.
Im Nachtquartier
fällt der Putz von der Decke
Am nächsten Tag fällten wir den Entschluss, wir fahren zum nächsten Bahnhof, steigen in den Zug und fahren ans Schwarze Meer. Die Mitnahme des Rades war geregelt. Da der Zug kein Gepäckabteil hatte, sollten wir es in den letzten Wagen stellen. Wir wuchteten den Anhänger die schmale Zugtür hoch, anschließend das Tandem und quetschen beides und uns in den Zug. Nach dem nächsten Halt erschraken wir gewaltig. Mit geöffneter Tür ratterte der Zug nun durch die bulgarische Öde. Wolfgang hielt bis zum nächsten Halt Anhänger und Rad fest, bis er sie dort wieder schließen konnte. So erreichten wir ohne Verluste Varna.
Am Bahngleis standen mehrere Bulgaren, die Privatunterkünfte anboten. Wir nahmen ein Angebot an. Der Mann führte uns durch die Fußgängerzone mit ansprechenden Läden und Gaststätten. Doch dann wurden die Gebäude gleich wieder schlechter. Er wohnt mit seiner Mutter in einer Wohnung. Sie schlafen gemeinsam in einem Raum und vermieten die beiden anderen Zimmer und eine Kammer als Gästezimmer. In unserem Zimmer wurde ein Sofa hochgeklappt, dass Platz war für unser Tandem und den Anhänger. In der zweiten Nacht weckte uns ein lautes Rumpeln und anschließendes lautes Stimmengewirr. Am Morgen führte uns die Mutter in ihr Zimmer. Fast der ganze Deckenputz war heruntergebrochen.
Ganz anders sind die Unterkünfte am Strand, hier stehen neugebaute Luxushotels, Reklamelichter flimmern und Boutiquen bieten Markenwaren an.
Wir radelten weiter und beschlossen einige Tage Badeurlaub in Obzor und Pomerie zu machen. Die Radelstrecke am Schwarzen Meer hatte es in sich. Wir verließen Varna mitten im Großstadtverkehr über die — wie man uns sagte — längste Brücke des Balkans. Vornehmlich wurden wir von neuen Limousinen mit bulgarischen Kennzeichen überholt. In den Küstenorten werden neue riesige Hotelkomplexe hochgezogen, um zahlungskräftige Touristen nicht nur aus Bulgarien anzulocken.
Wir radeln jetzt ständig bergauf und bergab. Bei einem der Anstiege kämpften wir nicht nur mit der Steigung und der Hitze. Hunderte von bulgarischen Fliegen umschwirrten unsere schweißnassen Gesichter. Brigitte war ständig mit dem Taschentuch am Wedeln, um sie wenigsten etwas zu vertreiben.
Von Obzor nach Pomerie mussten wir auf verbotenen Wegen radeln. Am Straßenrand tauchten zwei Schilder auf: Durchfahrt verboten für Fahrräder und Fuhrwerke. Ein Blick auf die Karte zeigte uns, eine andere Straße gibt es nicht. Wir fuhren also weiter. An uns brausten auf einer gutausgebauten Schnellstraße die Autos und Lastwagen vorbei. Eine Standspur gab es nicht. Pferdeäpfel wiesen uns darauf hin, dass auch andere das Verbot nicht beachteten. Wir ließen die riesigen Hotelkomplexe links liegen und suchten uns kleinere Hotels.
Erholung im Meer
und im Heilschlamm
In Pomorie gibt es neben dem Meer einen Salzsee, aus dem ein schwarzer Heilschlamm gewonnen wird. Unser Hotelbesitzer organisierte, dass wir an der Schöpfstelle, direkt hinter seinem Hotel, eine Fünfliter-​Plastikflasche der nach Meer riechenden Masse bekamen. Statt teurer Wellnesbehandlung im Luxushotel oder ärztlich verschriebener Rehakur verwöhnten wir uns selbst. Wir schmierten uns am Strand täglich selbst ein und wuschen den angetrockneten Schlamm im Meer wieder ab. Für uns waren die Tage am Schwarzen Meer Erholung pur. Da schon Nachsaison war, hatten wir viel Platz am Strand. Wir genossen das warme Wasser, in das man weit hineinlaufen kann, den feinen Sand und das auf dem Holzgrill zubereitete Essen der Restaurants.
Das Wetter schlug dann deutlich um. Es wurde kühler, was uns nicht unangenehm war. Wir entschieden uns, einen kleinen Bus anzumieten, der uns bis hinter die türkischen Grenze bringen sollte, um pünktlich in Istanbul zum Treffen mit Freunden anzukommen.
Ein Badetag war unser Abfahrtstag nicht mehr. Ein Sturm wühlte das Meer auf und die Wellen wurden auf den Strand bis unter die Sonnenschirme getrieben. So war der Abschied nicht all zu schwer. Der Weg zur Grenze erinnerte uns nochmals an das andere Gesicht Bulgariens. Die neugebauten Hotels, die guten Strassen verschwanden schnell, sobald die Küste verlassen war und wir rumpelten durch Schlaglöcher der Türkei entgegen.