Die Gmünder Augenärztin Dr. Birgit Stahl reiste 4000 Kilometer durch den unbekannten Iran

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Es war auch eine Reise gegen Vorurteile und für die persönliche Völkerverständigung, die kürzlich von der Gmünder Augenärztin Dr. Birgit Stahl zusammen mit ihrem Partner unternommen wurde. Die abenteuerliche Tour führt 4000 Kilometer quer durch den weitgehend unbekannten Iran mit seinen atemberaubenden Naturschönheiten und reichen Kulturschätzen.

Freitag, 24. September 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
178 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (hs). Dr. Birgit Stahl und ihr „Reiseberater“ und Orient-​Kenner Thomas K. Peter ärgern sich, wenn in den Medien vor dem Hintergrund des schwelenden Streits um Inbetriebnahme der Atomanlagen und angesichts der intoleranten Regierungpolitik der islamischen Fundamentalisten dieses gesamte Land mit seinen 74 Millionen Einwohnern gänzlich ins Abseits gestellt und pauschal verurteilt wird.
Das frühere Persien sei zwar eine strenge islamische Republik, doch von einer eindrucksvollen kulturellen Vielschichtigkeit mit stolzen, freundschaftlich gesinnten und auch freiheitsliebenden Menschen. Der Freiheitsdrang und die Vielschichtigkeit werde von den Zwängen der Religionswächter zwar verhüllt. Doch wer auf Kleinigkeiten im Erscheinungsbild auf der Straße, innerhalb der Familien und auf die Bekleidung der Bürger, insbesondere der Frauen achte, der erkenne eine sehr weltoffene Seele der Bevölkerung im Iran, die besonders in den Städten auch von einem hohen Bildungsgrad geprägt ist. Persiens Geschichte erzählt auch viel über uralte Handelsbeziehungen mit den Nachbarvölkern (Stichwort Seidenstraße) und vom traditionellen Bewusstsein einer Vormachtsstellung im asiatischen Raum.
Wie kommt man zu so einem Reiseabenteuer ins Unbekannte, wenn man doch drei Wochen Urlaub zum Beispiel in Spanien oder in der Türkei viel erholsamer verbringen könnte? Dr. Birgit Stahl gibt sich als „Weltkulturerbe-​Fan“ zu erkennen. Sie habe sich vorgenommen, alle Kontinente zu bereisen, um nach und nach alle Welterbestätten der UNESCO aufzusuchen. Der Iran ist voll davon. Und die Weltgemeinschaft gewährt trotz der politischen Spannungen dem „Gottesstaat“ tätige und finanzielle Hilfen, um die einmaligen historischen Kulturerbestätten zu pflegen und nachfolgenden Generationen zu bewahren. Die kulturelle Ebene gibt den Menschen auch Selbstbewusstsein und Signale der Hoffnung, dass sich die eigene Regierung verstärkt öffnen könnte — hin zu mehr Toleranz und Vertrauen in die eigene Bevölkerung.
Die Einreise erfolgte mit einem Flugzeug aus der Türkei nach Tabriz im Nordwesten des Iran. Höflich die Grenzkontrollen. Schmunzelnd erzählt Dr. Birgit Stahl von einer „Sicherheitsvorkehrung“: Sie und ihr Partner seien nicht verheiratet. Um sicherzugehen, dass auch ein „wildes Paar“ eventuelle Visa-​Probleme umgehen könne, hätten sie sich sogar Eheringe ausgeliehen.
Wie auch in anderen streng muslimisch geprägten Ländern, so sei es für sie selbstverständlich gewesen, auch auf die Kleiderordnung zu achten. Und in der Öffentlichkeit sei dies halt das Kopftuch. In diesem Zusammenhang sei es faszinierend und interessant zu beobachten gewesen, wie jedoch genau dieses Bekleidungsstück, das unbedingte Voraussetzung ist, zu einem Erkennungszeichen für die Gesinnung der einzelnen Frauen sei. Da gebe es unterschiedliche Merkmale, auch in der Trageweise und in der Art und Weise, wie sich die Mädchen und Frauen auch schminken. Deutlich zu spüren sei der Wunsch nach westlicher Lebensweise. In persönlichen Gesprächen machen die Frauen im Iran hieraus keinen Hehl, wie in Begegnungen beispielsweise mit einer fortschrittlichen Taxifahrerin oder in Teehäusern immer wieder zu sehen, zu hören und zu spüren war.
Dazu ein starkes Glaubensbekenntnis in diesem Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen Strömungen auch innerhalb der gemeinsamen Religion: Eindrucksvoll, wie bei den Überlandfahrten mit Bussen und Sammeltaxis die Chauffeure auch mitten in der Wüste immer pünktlich rechts an die Straße oder Piste ranfuhren und anhielten, um den tiefgläubigen Mitreisenden die Gelegenheit zu geben, ihre Teppiche auszurollen, damit das Gebet in Richtung Mekka erfolgen konnte. Dr. Birgit Stahl erzählt hochachtungsvoll von einer überwältigenden Art und Weise der Hilfsbereitschaft und Freundschaft, wie die Menschen im Iran Fremden gegenübertreten. Immer wieder seien die beiden Deutschen von herzlicher Nachfrage umringt gewesen. „Und als Frau habe ich mich auf einer Reise selten so sicher gefühlt wie dort“, berichtet die Gmünder Ärztin.
Grandios sei das Erleben der Sehenswürdigkeiten aus Kultur– und Religionsgeschichte und vor allem auch das Landschaftserlebnis in den Wüsten gewesen. Oft seien Bauwerke und Natur miteinander verwachsen, so beispielsweise die Windtürme von Yazd (natürliche Klimaanlage) oder die monumentale Lehmziegelstadt von Bam. Diese wurde vor einigen Jahren von einem Erdbeben verwüstet. Birgit Stahl würde sich einen schnelleren Wiederaufbau wünschen. Doch andererseits hat sie Verständnis für die Entwicklung und die Mentalität in diesem Land. Vieles braucht seine Zeit, muss sich entwickeln.
Vielleicht ist’s ja so, dass die Europäer immer unter Zeitdruck stehen, mehr als andere Völker dieser Welt? Und den Menschen im Iran noch eine gute Zeit zu gönnen ist?