Warum das Bühnenbild für das „scharlachrote Sigel“ eine nie dagewesene Herausforderung ist

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

20 Szenenwechsel in einer Aufführung. „Damit kann man ein Stück kaputt machen“, erklärt Reiner Schmid, warum der Kulissenbau fürs Kolping-​Musical in diesem Jahre eine besondere Herausforderung war. Umbauten in Sekundenschnelle waren zu verbinden mit ganz viel Atmosphäre. Außerdem soll das alles niemand auf den Kopf fallen.

Montag, 17. Januar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
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SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Das nennt man „sich das eigene Grab schaufeln“ – Joachim Reißmüller zimmert das Mordgerät, auf dem er nach dem Willen der Bösen den Kopf verlieren soll. In Anbetracht der Umstände geht’s erstaunlich heiter zu beim Kulissenbau. Willi Krug und Herbert Moll witzeln die ganze Zeit, hören aber nicht eine Sekunde auf zu arbeiten. Die beiden sind das Schaffen gewohnt: Moll hatte ein Baugeschäft, Krug war Schreiner und Hausmeister, und eigentlich haben sie sich ihren Ruhestand vielfach verdient. „Einer muss es ja machen“, erklären sie ihre Bereitschaft, dem Ehrenamt Stunde um Stunde zu schenken. Teil dieser Produktion zu sein, lohne den Aufwand allemal. Joachim Reißmüller, der jetzt als Gefährte des Helden zum vierten Mal auf der Bühne stehen wird, stimmt zu. Er kriegt gar nicht genug von der Musik, die in diesem Jahr wie nie zuvor seinen Vorlieben entspricht: „Ich freu mich so drauf“.
Eine Voraussetzung für den Erfolg des Musicals „The Scarlet Pimpernel“ (Das Scharlachrote Siegel) ist der Kulissenbau, den auch in diesem Jahr Reiner Schmid übernommen hat. Dieses Mal sei’s sehr schwer gewesen, gibt er zu; allzu sehr sei das gesamte Stück „dem Tempo der Musik unterworfen“. 20 Wechsel waren zu bewältigen, und um das zu stemmen, hat er sich ein Schichtensystem ausgedacht – wie Zwiebelhäute wird eine Lage nach der anderen hochgezogen oder weggeschoben. Der zentrale Platz und die Guillotine waren schnell konzipiert. Für alles andere ließ sich der Gmünder Künstler, wie es seine Art ist, intensiv auf das Stück ein und auf die Zeit, in der es spielt. Nicht nur die schnellen Umbauten, sind wichtig, die Funktionalität und die stimmigen Perspektiven, sondern eben auch die Bilder in den Köpfen der Menschen, die Stimmungen, die durch bestimmte Farben oder allgemeingültige Symbole erzeugt werden. Einige Male bleibt die Hauptwand stehen, und allein einige kleine Requisiten machen das Gefängnis aus, oder das Versteck.
Im Wechselspiel von Abstraktem und Konkretem kam er seinen Vorstellungen immer näher. Schmid, der seine Arbeiten derzeit im Schaufenster Marktplatz 27 ausstellt, hat die ersten Entwürfe im Mai angefertigt. Mittlerweile ist er wieder in seiner „Ganz oder gar nicht“-Phase. Keine halben Sachen bei einer so großen Produktion; seine Bildhauerei tritt in den Wochen vor der Premiere in den Hintergrund, das kennt er von den Vorjahren.
Fürs Bühnenbild 2011 hat er den Barockmaler Diego Velázquez studiert, dessen Arbeit an der Schwelle zum 19. Jahrhundert – und in dieser Zeit spielt das Stück – Maßstäbe setzte. Ebenso Francisco de Goya, der während der Revolution lebte und sich wie sein begnadeter Vorgänger als subjektiver Beobachter bewies und neue Wege ging. Schmid wollte ein Gefühl entwickeln für die Ästhetik einer Zeit, in der die grundlegenden Werte und Ideen der Aufklärung umgesetzt wurden und die im Spannungsfeld zwischen Rokoko, Revolution und Romantik Europa veränderte. Schön zu sehen ist das an seinen Ballsälen. Fensterwände in den Schlössern sind so beleuchtet, dass strahlendes Licht die Festgäste glänzen lässt – die im Dunkeln sieht man nicht.
Schmid hat’s geliebt, sich mit dieser „spannenden Zeit“ zu beschäftigen, mit dieser Zeit des Aufbruchs, in der die Standesunterschiede eine so entscheidende Rolle spielten – der Held der Geschichte hat eine Schauspielerin geheiratet — und die in Arbeiten wie Schillers „Kabale und Liebe“ verewigt wurde.
Wiederum fließen die Philosophien eines Georges Didi-​Huberman oder eines Gaston Bachelard in seine Arbeit ein – es geht nicht darum, etwas auf die einfachste Art darzustellen, sondern darum, der eigentlichen Komplexität gerecht zu werden. Ein Miterleben des Publikums ist das Ziel – nur so können poetische Bilder tatsächlich übermittelt werden, können die Zuschauer teilhaben an Musik und Träumereien. Um das möglich zu machen, braucht es ein Vermögen, das den ganz großen Produktionen zur Verfügung steht, oder eben, wie in Gmünd, einen, der mit Bildern arbeitet, die tief im kollektiven Bewusstsein verankert sind. Diese Auseinandersetzung mit der Poetik des Raumes und der Philosophie hilft Reiner Schmid auch, das große Ganze im Blick zu haben und sich nicht im Detail zu verheddern.
Mindestens so wichtig wie zupackende Helferhände, sagt er, ist der Gedankenaustausch. Er hat selbst einen Handwerksberuf erlernt, bevor er sich als Bildhauer ein anderes Leben aufbaute, und er schätzt die Kompetenz seiner freiwilligen Helfer ungemein: Dieses geht, jenes nicht, „und da müssen wir aufpassen“. Mit dabei sind Edith Jantsch, Joachim Reißmüller, Franziska Huber, Gabriela und Jo Bartoschka, Willi Krug, Herbert Moll, außerdem Hubert und Petra Paul, die von ihren Kindern unterstützt werden.
Seit Oktober wird intensiv und unermüdlich daran gearbeitet, dass ein paar Dutzend Quadratmeter im entscheidenden Moment zu den Brettern werden, die eine kleine Gmünder Welt bedeuten.